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Leander, 33, Berlin

Wir sind alle Glückskinder der Geschichte.

Leander1_Sebastian Mayer

 

 

Leander, du hältst unglaublich viele Bälle gleichzeitig in der Luft. Du bist Blogger, Berater, Vortragsredner, seit vergangenem Jahr Dozent an der Universität der Künste in Berlin und zeichnest für viele spannende Projekte innerhalb der Buchbranche verantwortlich. So viele, dass ich sie hier gar nicht alle aufzählen kann. Was antwortest du auf die Cocktailpartyfrage: „Und, was machen Sie so?“
Seit diesem Jahr sage ich, dass ich Gründer von Orbanism bin. Dort wollen meine Mitgründerin Christiane Frohmann und ich die sich abzeichnende Contentbranche der Zukunft bereits heute abbilden und befördern. Bei Orbanism bringen wir all unsere Tätigkeiten, Projekte und Netzwerke gemeinsam ein und bündeln sie. Als erstes neues Veranstaltungsformat läuft jetzt das vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Remix-Festival „Falling in Love“. Hier bekommt ihr schon einen guten Eindruck, worum es geht: https://twitter.com/hashtag/fil15

Auf welches deiner vielen Projekte bist du besonders stolz?
Da kann ich eigentlich keines besonders hervorheben. Stolz bin ich wenn dann darauf, dass ich seit dem Studienende vor acht Jahren erfolgreich selbstständig bin und mich dabei auch immer wieder neu erfunden habe. Mir gibt jedes der Projekte wie „Ich mach was mit Büchern“, #pubnpub und der Virenschleuder-Preis unendlich viel, weil es Formate sind, die Menschen zusammenführen und dadurch Neues und Gutes entstehen lassen. Denn die Zukunft können wir nur gemeinsam gestalten. Das zu initiieren, voranzutreiben und dann zu beobachten, ist das Schönste für mich.

Bei so viel Arbeit – ist dein Smartphone jemals aus?
Warum sollte es aus sein? Ich nutze mein Smartphone auch privat gern. Diese Trennungen zwischen beruflich und privat sowie zwischen online und offline sind mir zunehmend fremd. Ich genieße den Luxus, immer mit anderen Menschen verbunden zu sein, aber selten unmittelbar erreichbar sein zu müssen, wie das bei vielen Leuten der Fall ist, die gern ihr Smartphone demonstrativ ausschalten. Bei mir kommt es eher vor, dass ich es einfach vergesse, wenn ich mit Leuten zusammen bin und etwas erlebe. Während der re:publica habe ich glaube ich wieder nur fünfmal getwittert, weil ständig was los war. Es geht darum, das in dem Moment Wertvolle zu wertschätzen und das Digitale einzusetzen, wo es dieses bereichern kann.

Was machst du, wenn du nicht arbeitest?
Das, was ich mache, wenn ich nicht arbeite, mache ich nicht selten kurz darauf zu meinem Beruf. Das ist ja der Witz bei der Sache, wenn man seinen Job selbst erfindet. Diese Möglichkeit haben wir heute alle. Schon in der Schule habe ich gern meine Banknachbarn vollgequatscht mit irgendwelchen Dingen, die mich interessierten. Nichts anderes tue ich heute als Blogger. Als Kind habe ich mir gern Spielwelten ausgedacht. Nichts anderes tue ich heute mit meinen Veranstaltungsformaten. Unabhängig davon habe ich ganz normale Interessen von Fußball (Werder Bremen) bis hin zur Geschichte, die ich liebe. Zudem bietet Berlin meinem Entdecker-Gen reiches Futter.

Wo bist du aufgewachsen (und wie war das so)?
Ich bin in Greifswald an der Ostsee aufgewachsen – unterbrochen von einem Jahr an der High School in Montana (USA). Dort groß zu werden, war eigentlich ganz ideal, weil Greifswald mit ca. 50.000 Einwohnern eine überschaubare Größe hat, aber dank der Uni und den ca. 10.000 Studenten dennoch eine Menge los ist. Dass die großen Städte Berlin und Hamburg so weit weg sind führt dazu, dass vor Ort eine Menge unabhängiges Leben entsteht. Zudem ist die Ecke landschaftlich sehr schön. Die letzten fünf Schuljahre bin ich beispielsweise nie rechtzeitig zur Zeugnisübergabe gekommen, weil wir die Nacht vorher immer grillend und badend am Strand verbracht haben und dann morgens mit dem Rad zurück in Stadt gehetzt sind. Sowas geht dort gut und sorgt für Freiheitsgefühl.

Nun lebst du in Berlin. Was magst du an der Stadt und was weniger?
Ich mag an Berlin, dass die Stadt unfertig ist. Ich habe schon in diversen Städten wie Köln, Stuttgart und Frankfurt gelebt. Mein Herz schlägt aber eher für Städte wie Leipzig und Berlin, wo die Dinge nicht so saturiert, sondern stark im Umbruch sind. Da ergeben sich umso mehr Gestaltungsräume. Genau deshalb mag ich ja auch das Internet, weil es sich mitgestalten lässt und davon lebt. In Berlin passt das sehr gut zusammen und bei Orbanism werden wir genau diesen Raum zwischen Urbanität und Globalität weiter mit Leben füllen.

Du bist vor allem in der Buch- und Publishingbranche tätig. Wie bist du mit der Branche in Kontakt geraten?
Mein Großvater war Buchhändler alter Schule und wenn ich ihn besuchte, gab es immer ein Begrüßungsbuch mit Widmung aus dem Rosinenschrank. Er erzählte mir auch immer viel über die Struktur des Buchmarktes und die Buchwelt im Allgemeinen. So wurde mein Interesse geweckt. Das führte dann zum Verlagswirtschaftsstudium in Leipzig und von dort aus ging es direkt weiter in die Selbstständigkeit. Erst nur als Berater – man muss ja Geld verdienen –, wenig später auch als Blogger, dann mit eigenen Projekten, Lehraufträgen, Vorträgen, Veranstaltungen etc.

Bist du auch selbst ein „Bücherwurm“? Was liest du?
Ich lese vor allem Sachbücher, alles mit Geschichtsbezug und im Bereich der Literatur gern die Klassiker. Meine besondere Liebe gilt dabei Theodor Fontane …

als ich auf deiner Homepage gestöbert habe, ist mir bereits aufgefallen, dass du Vorstandsmitglied der Theodor-Fontane-Gesellschaft bist. Wie kommt’s, dass du dich dort engagierst? Was fasziniert dich an Fontane?
Ich engagiere mich seit 2010 im Vorstand der Gesellschaft mit ihren über 1.000 Mitgliedern. Grundsätzlich sollte sich jeder irgendwo ehrenamtlich einbringen. Das mal als Erstes. Speziell bei Fontane finde ich sowohl sein Werk als auch sein Leben faszinierend. Wer seine Romane und Erzählungen liest, liest nicht nur große Literatur, sondern lernt auch sehr viel Zeitloses über Menschen, Gesellschaften und über die deutsche und europäische Geschichte. Dann gibt es da noch das Briefwerk, die Wanderungen, die autobiographischen Werke und vieles mehr. Das Gesellschaftsleben ist ebenso horizonterweiternd, weil es sowohl im Osten als auch im Westen eine intensive Fontane-Rezeption gab. Nach der Wende kam das alles in der Gesellschaft zusammen und mischt sich seitdem munter. Zudem geht es da nicht so elitär zu wie in anderen großen Literaturgesellschaften. Bei uns sitzt der Germanistik-Professor neben dem gelegentlichen Hobbyleser, weil Fontane die unterschiedlichsten Leute anzieht und begeistert. Das spiegelt sich wieder in den zahlreichen Städte-Sektionen und -Freundeskreisen, wo ständig Vortragsveranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen laufen.

Was inspiriert dich?
Ich liebe Freaks. Ich beobachte sie gern und ich verbringe gern Zeit mit ihnen. Da tun sich immer wieder fremde Welten auf und man lernt unendlich viel.

Was treibt dich an?
Eine Mischung aus Neugier und dem Bewusstsein, dass man im Leben öde Sachen machen muss, wenn man sich nicht vorab kümmert. Daneben treibt mich vor allem die Möglichkeit an, einen so krassen Wandel wie den durch das Internet und die Digitalisierung mitgestalten zu können. Wir sind alle Glückskinder der Geschichte.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Nichts. Geschenke nehme ich aber dankbar entgegen.

Wie definierst du Erfolg?
Erfolg ist das Erreichen selbstgesteckter Ziele. Das kann alles Mögliche sein und ist immer subjektiv. Ein zufriedener Eisverkäufer ist für mich erfolgreicher als ein unzufriedener Topbanker.

Was macht dich glücklich?
Es gibt ja dieses schöne chinesische Sprichwort:
„Willst du einen Tag lang glücklich sein, betrinke dich!
Willst du eine Woche lang glücklich sein, schlachte ein Schwein!
Willst du ein Jahr lang glücklich sein, heirate!
Willst du ein Leben lang glücklich sein, werde Gärtner!“
Für mich ist das, was ich mit meinen Projekten mache, wie gärtnern. Man pflanzt, es wächst heran und gedeiht, alles beeinflusst und befruchtet sich gegenseitig und am Ende blühen Menschen und Beziehungen auf. Das trägt ein großes Befriedigungspotenzial in sich. Allerdings möchte ich auch die anderen Dinge nie missen müssen.

Was ärgert dich maßlos?
Ungerechtigkeit, Schubladendenken, Intoleranz und unnötiges Alpha-Männchen-Gehabe. Menschen sollten Menschen lassen, wie sie sind, und sie stärker und nicht kleiner machen. Jeder für sich muss schon genug mit dem Leben kämpfen.

Hast du Vorbilder? Helden?
Helden habe ich keine. Das hat für mich etwas mit Überhöhung und Verklärung zu tun. Vorbilder sind für mich Menschen, die den Weg zu sich gefunden haben und damit bei allem, was sie tun, ein Original sind. Menschen, die wahrhaftig ihr Ding machen. Neben Kindern dürfte das der größte Glücksspender sein, wenn wir mit 80 zurückblicken und sagen können, dass wir ein uns gemäßes Leben gelebt haben.

Hast du ein Lieblingszitat oder gar ein Lebensmotto?
„So it goes.“ Vonnegut

 

 

Mehr Leander gibt es hier:

Website: http://orbanism.com
Website: http://leanderwattig.com
Facebook: https://www.facebook.com/leanderwattig
Twitter: https://twitter.com/leanderwattig
Snapchat: @leanderwattig

 

Das Interview führte Melanie Raabe.
Foto: Sebastian Mayer.

 

Marguerite, 36, Berlin

„Schokolade für alle und Weltfrieden“


MARGUERITE

 

Marguerite! Ich folge dir irre gerne auf Twitter. Zum einen, weil du einen großartigen Geschmack hast. Und zum anderen, weil das, was du zu den Themen äußerst, die mich interessieren – Bücher, Kultur, Feminismus… – immer so wunderbar klug und auf den Punkt ist. Wer oder was hat dich und dein Denken am meisten beeinflusst?
Danke für das sehr liebe Kompliment, Melanie!
Am meisten hat mich meine familiäre Umgebung beeinflusst sowie die Regale voller Bücher, die es bei uns zuhause gab. Als Französin in Süddeutschland / Stuttgart aufzuwachsen, hatte für uns viel mit Anderssein, und Doch-dabei-sein-Können zu tun. Das Anderssein manifestierte sich zum Beispiel dadurch, dass meine Eltern beide berufstätig waren und sind und beide gleichermaßen für uns Kinder zuständig und präsent waren. Diese Differenz wurde mir sehr schnell bewusst. Es hat mich auch mit Stolz erfüllt und mich in der Wahl meines Lebensweges stark geprägt. Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dementsprechend eines, was mich heute immer noch beschäftigt und anspricht.

Du arbeitest in der Buchbranche. Woran arbeitest du gerade?
Ich leite zwei digitale Imprints bei den Ullstein Buchverlagen, die wir im Sommer 2014 aus der Taufe gehoben haben.

Gibt es etwas, wofür du hier gerne und ganz schamlos ein bisschen Werbung machen würdest? Das ist die Gelegenheit!
Oh sehr gerne! Wir freuen uns bei Midnight und Forever (zu finden auf http://midnight.ullstein.de bzw. auf http://forever.ullstein.de; Anm. d. Bloggerin)  – so heißen unsere digitalen Kinder – immer über tolle Autorinnen und Autoren und über viele neue Leser! Wenn ihr also eine Geschichte geschrieben habt und auf der Suche nach einem Verlag seid, immer her damit! und wenn ihr gerne kurzweilige Lektüre für eure E-Reader sucht, seid ihr bei uns auch an der richtigen Stelle!

Was bedeuten dir Bücher?
Bücher sind für mich Zufluchtsorte und Lernstätten. Sie gehören zu meinem täglichen Leben genauso selbstverständlich wie Essen und Trinken.

Welches sind derzeit deine Lieblingsbücher?
In diesem Jahr habe ich so viele tolle Bücher gelesen, die mich lange beschäftigt haben und die ich unbedingt empfehlen möchte: Why be happy when you could be normal, von Jeanette Winterson. Die komplette Kate-Daniels-Serie von Ilona Andrews, alles von Jeaniene Frost; Der geteilte Himmel, Christa Wolf (endlich Christa Wolf gelesen, nachdem ich das großartige Gesprächsbuch ihrer Enkelin Jana Simon gelesen habe!), Americanah von Chimamanda Ngozie Adichie, My Struggle, pt. I von Karl Ove Knausgaard. Außerdem verschlungen habe ich in diesem Jahr sehr viel Courtney Milan und eine Menge Patricia Briggs.

Und deine Alltime Favourites?
Ich bin ein Riesenfan der Serie Desert Island Discs und könnte dir sofort acht Alben und sogar acht Musikstücke nennen, die meine Alltime Favourites sind und mir etwas bedeuten. Bei Büchern finde ich es absolut unmöglich. Ich schummle also mal und nenne dir drei Lieblingsbücher, die ich so oft als Lektüre empfohlen habe, dass sie bestimmt zu Lieblingsbüchern aller Zeiten wurden: The White Album, Joan Didion; Jahrestage, Uwe Johnson und La Douleur von Marguerite Duras.

Welche Kunstformen interessieren dich neben der Literatur?
Vor allem Kunst und Musik. Musik beeindruckt mich immer, weil ich es irre finde, wie Gedanken in einer Sprache ausgedrückt werden können, die ich nicht schreiben, aber dennoch verstehen kann. Mit Kunst beschäftige ich mich leider nicht mehr so oft wie früher, aber einige Kunstwerke sind, wenn ich sie wieder besuche, ein bisschen wie ein Besuch zu Hause.

Du lebst in Berlin. Was magst du an der Stadt – und was so gar nicht?
Berlin ist eine Stadt, in der es viel Platz gibt und in der wir mit unseren drei Kindern auch gut leben können. Ich bin aber auch schon so lange hier – nämlich seit 1998 – dass ich meine, die besten und wildesten Zeiten der Stadt sowieso schon miterlebt zu haben. Was mich an Berlin immer nervt ist, dass es keinen Horizont gibt, den ich aus der Stadt sehen kann. Und dass der Winter grau und dunkel ist. Das wird aber meist mit einem Wahnsinnsfrühling und -sommer wettgemacht!

Was ist das Aufregendste, was dir je passiert ist?
Als ich 2002 meinen Mann kennengelernt habe. Das war so ziemlich das Aufregendste, weil aus dieser Begegnung alles weitere Aufregende passiert ist. Er kommt aus Kanada und wir haben uns bei der Eröffnung der elften Documenta im völlig unwahrscheinlichen Kassel kennengelernt, mit 6000 Menschen um uns herum. Er war für zehn Tage in Europa, ich nur für die Eröffnung in Kassel. Ein totaler Fall von Liebe auf den ersten (wirklich, den allerallerersten!) Blick. Ob es nun Schicksal oder Zufall war, es war aufregend, und das ist es bis heute.

Hast du ein Vorbild?
Diese Frage hat mich nicht losgelassen. Ich habe Vorbilder in meinen Eltern, die ich schon erwähnt habe. Aber als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es in Deutschland sehr wenige Vorbilder gibt für Frauen wie mich. Man liest viel über Frauen, die Babys bekommen und im Beruf bleiben oder aus dem Beruf wegbleiben. Über Frauen, die ein bisschen ältere Kinder haben, liest man gar nichts mehr, möglicherweise, weil wir dann irgendwann zu viel zu tun haben, um auch noch darüber zu sprechen? Weil wir andere Kämpfe kämpfen?
Und weil ich so wenige Vorbilder im öffentlichen Leben sehe, habe ich innerlich beschlossen, selber auch Vorbild zu sein, Rat zu geben etc. Soll heißen, ich dränge mich da nicht auf, finde es aber wichtig die Erfahrungen, die ich gemacht und aus denen ich gelernt habe, an Frauen in meinem Alter oder an Jüngere weiter zu geben und Mut zu machen, dass es Wege gibt, um sein Leben so zu gestalten wie es einem wichtig ist.
Wenn du mich nach weiblichen Idolen fragst, dann bin auch ich nicht immun gegen die POW-ness von Beyoncé, die Vorreiterin Madonna, oder der verrückten Weiblichkeit einer Stevie Nicks.

Was inspiriert dich?
Ich esse wahnsinnig gerne. Und ich meine wirklich wahnsinnig. Deswegen sind Kochen und Backen Aktivitäten, die zwar ganz alltäglich sind, die ich aber immer noch sehr gerne und mit Begeisterung mache. Kochen und Backen sind auch zwei Bereiche, in denen ich wirklich gerne inspiriert werde und für die ich mich aktiv interessiere. Meine Kochbuch- und Kochzeitschriftensammlung kann es bezeugen!

Wenn du für einen Tag die Welt beherrschen dürftest, was würdest du anordnen?
Schokolade für alle und Weltfrieden. Beides vereint dann hier: http://www.splendidtable.org/recipes/world-peace-cookies

 

Das Interview führte Melanie Raabe. 

Foto: privat.