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Leander, 33, Berlin
„Wir sind alle Glückskinder der Geschichte.„
Leander, du hältst unglaublich viele Bälle gleichzeitig in der Luft. Du bist Blogger, Berater, Vortragsredner, seit vergangenem Jahr Dozent an der Universität der Künste in Berlin und zeichnest für viele spannende Projekte innerhalb der Buchbranche verantwortlich. So viele, dass ich sie hier gar nicht alle aufzählen kann. Was antwortest du auf die Cocktailpartyfrage: „Und, was machen Sie so?“
Seit diesem Jahr sage ich, dass ich Gründer von Orbanism bin. Dort wollen meine Mitgründerin Christiane Frohmann und ich die sich abzeichnende Contentbranche der Zukunft bereits heute abbilden und befördern. Bei Orbanism bringen wir all unsere Tätigkeiten, Projekte und Netzwerke gemeinsam ein und bündeln sie. Als erstes neues Veranstaltungsformat läuft jetzt das vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Remix-Festival „Falling in Love“. Hier bekommt ihr schon einen guten Eindruck, worum es geht: https://twitter.com/hashtag/fil15
Auf welches deiner vielen Projekte bist du besonders stolz?
Da kann ich eigentlich keines besonders hervorheben. Stolz bin ich wenn dann darauf, dass ich seit dem Studienende vor acht Jahren erfolgreich selbstständig bin und mich dabei auch immer wieder neu erfunden habe. Mir gibt jedes der Projekte wie „Ich mach was mit Büchern“, #pubnpub und der Virenschleuder-Preis unendlich viel, weil es Formate sind, die Menschen zusammenführen und dadurch Neues und Gutes entstehen lassen. Denn die Zukunft können wir nur gemeinsam gestalten. Das zu initiieren, voranzutreiben und dann zu beobachten, ist das Schönste für mich.
Bei so viel Arbeit – ist dein Smartphone jemals aus?
Warum sollte es aus sein? Ich nutze mein Smartphone auch privat gern. Diese Trennungen zwischen beruflich und privat sowie zwischen online und offline sind mir zunehmend fremd. Ich genieße den Luxus, immer mit anderen Menschen verbunden zu sein, aber selten unmittelbar erreichbar sein zu müssen, wie das bei vielen Leuten der Fall ist, die gern ihr Smartphone demonstrativ ausschalten. Bei mir kommt es eher vor, dass ich es einfach vergesse, wenn ich mit Leuten zusammen bin und etwas erlebe. Während der re:publica habe ich glaube ich wieder nur fünfmal getwittert, weil ständig was los war. Es geht darum, das in dem Moment Wertvolle zu wertschätzen und das Digitale einzusetzen, wo es dieses bereichern kann.
Was machst du, wenn du nicht arbeitest?
Das, was ich mache, wenn ich nicht arbeite, mache ich nicht selten kurz darauf zu meinem Beruf. Das ist ja der Witz bei der Sache, wenn man seinen Job selbst erfindet. Diese Möglichkeit haben wir heute alle. Schon in der Schule habe ich gern meine Banknachbarn vollgequatscht mit irgendwelchen Dingen, die mich interessierten. Nichts anderes tue ich heute als Blogger. Als Kind habe ich mir gern Spielwelten ausgedacht. Nichts anderes tue ich heute mit meinen Veranstaltungsformaten. Unabhängig davon habe ich ganz normale Interessen von Fußball (Werder Bremen) bis hin zur Geschichte, die ich liebe. Zudem bietet Berlin meinem Entdecker-Gen reiches Futter.
Wo bist du aufgewachsen (und wie war das so)?
Ich bin in Greifswald an der Ostsee aufgewachsen – unterbrochen von einem Jahr an der High School in Montana (USA). Dort groß zu werden, war eigentlich ganz ideal, weil Greifswald mit ca. 50.000 Einwohnern eine überschaubare Größe hat, aber dank der Uni und den ca. 10.000 Studenten dennoch eine Menge los ist. Dass die großen Städte Berlin und Hamburg so weit weg sind führt dazu, dass vor Ort eine Menge unabhängiges Leben entsteht. Zudem ist die Ecke landschaftlich sehr schön. Die letzten fünf Schuljahre bin ich beispielsweise nie rechtzeitig zur Zeugnisübergabe gekommen, weil wir die Nacht vorher immer grillend und badend am Strand verbracht haben und dann morgens mit dem Rad zurück in Stadt gehetzt sind. Sowas geht dort gut und sorgt für Freiheitsgefühl.
Nun lebst du in Berlin. Was magst du an der Stadt und was weniger?
Ich mag an Berlin, dass die Stadt unfertig ist. Ich habe schon in diversen Städten wie Köln, Stuttgart und Frankfurt gelebt. Mein Herz schlägt aber eher für Städte wie Leipzig und Berlin, wo die Dinge nicht so saturiert, sondern stark im Umbruch sind. Da ergeben sich umso mehr Gestaltungsräume. Genau deshalb mag ich ja auch das Internet, weil es sich mitgestalten lässt und davon lebt. In Berlin passt das sehr gut zusammen und bei Orbanism werden wir genau diesen Raum zwischen Urbanität und Globalität weiter mit Leben füllen.
Du bist vor allem in der Buch- und Publishingbranche tätig. Wie bist du mit der Branche in Kontakt geraten?
Mein Großvater war Buchhändler alter Schule und wenn ich ihn besuchte, gab es immer ein Begrüßungsbuch mit Widmung aus dem Rosinenschrank. Er erzählte mir auch immer viel über die Struktur des Buchmarktes und die Buchwelt im Allgemeinen. So wurde mein Interesse geweckt. Das führte dann zum Verlagswirtschaftsstudium in Leipzig und von dort aus ging es direkt weiter in die Selbstständigkeit. Erst nur als Berater – man muss ja Geld verdienen –, wenig später auch als Blogger, dann mit eigenen Projekten, Lehraufträgen, Vorträgen, Veranstaltungen etc.
Bist du auch selbst ein „Bücherwurm“? Was liest du?
Ich lese vor allem Sachbücher, alles mit Geschichtsbezug und im Bereich der Literatur gern die Klassiker. Meine besondere Liebe gilt dabei Theodor Fontane …
… als ich auf deiner Homepage gestöbert habe, ist mir bereits aufgefallen, dass du Vorstandsmitglied der Theodor-Fontane-Gesellschaft bist. Wie kommt’s, dass du dich dort engagierst? Was fasziniert dich an Fontane?
Ich engagiere mich seit 2010 im Vorstand der Gesellschaft mit ihren über 1.000 Mitgliedern. Grundsätzlich sollte sich jeder irgendwo ehrenamtlich einbringen. Das mal als Erstes. Speziell bei Fontane finde ich sowohl sein Werk als auch sein Leben faszinierend. Wer seine Romane und Erzählungen liest, liest nicht nur große Literatur, sondern lernt auch sehr viel Zeitloses über Menschen, Gesellschaften und über die deutsche und europäische Geschichte. Dann gibt es da noch das Briefwerk, die Wanderungen, die autobiographischen Werke und vieles mehr. Das Gesellschaftsleben ist ebenso horizonterweiternd, weil es sowohl im Osten als auch im Westen eine intensive Fontane-Rezeption gab. Nach der Wende kam das alles in der Gesellschaft zusammen und mischt sich seitdem munter. Zudem geht es da nicht so elitär zu wie in anderen großen Literaturgesellschaften. Bei uns sitzt der Germanistik-Professor neben dem gelegentlichen Hobbyleser, weil Fontane die unterschiedlichsten Leute anzieht und begeistert. Das spiegelt sich wieder in den zahlreichen Städte-Sektionen und -Freundeskreisen, wo ständig Vortragsveranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen laufen.
Was inspiriert dich?
Ich liebe Freaks. Ich beobachte sie gern und ich verbringe gern Zeit mit ihnen. Da tun sich immer wieder fremde Welten auf und man lernt unendlich viel.
Was treibt dich an?
Eine Mischung aus Neugier und dem Bewusstsein, dass man im Leben öde Sachen machen muss, wenn man sich nicht vorab kümmert. Daneben treibt mich vor allem die Möglichkeit an, einen so krassen Wandel wie den durch das Internet und die Digitalisierung mitgestalten zu können. Wir sind alle Glückskinder der Geschichte.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Nichts. Geschenke nehme ich aber dankbar entgegen.
Wie definierst du Erfolg?
Erfolg ist das Erreichen selbstgesteckter Ziele. Das kann alles Mögliche sein und ist immer subjektiv. Ein zufriedener Eisverkäufer ist für mich erfolgreicher als ein unzufriedener Topbanker.
Was macht dich glücklich?
Es gibt ja dieses schöne chinesische Sprichwort:
„Willst du einen Tag lang glücklich sein, betrinke dich!
Willst du eine Woche lang glücklich sein, schlachte ein Schwein!
Willst du ein Jahr lang glücklich sein, heirate!
Willst du ein Leben lang glücklich sein, werde Gärtner!“
Für mich ist das, was ich mit meinen Projekten mache, wie gärtnern. Man pflanzt, es wächst heran und gedeiht, alles beeinflusst und befruchtet sich gegenseitig und am Ende blühen Menschen und Beziehungen auf. Das trägt ein großes Befriedigungspotenzial in sich. Allerdings möchte ich auch die anderen Dinge nie missen müssen.
Was ärgert dich maßlos?
Ungerechtigkeit, Schubladendenken, Intoleranz und unnötiges Alpha-Männchen-Gehabe. Menschen sollten Menschen lassen, wie sie sind, und sie stärker und nicht kleiner machen. Jeder für sich muss schon genug mit dem Leben kämpfen.
Hast du Vorbilder? Helden?
Helden habe ich keine. Das hat für mich etwas mit Überhöhung und Verklärung zu tun. Vorbilder sind für mich Menschen, die den Weg zu sich gefunden haben und damit bei allem, was sie tun, ein Original sind. Menschen, die wahrhaftig ihr Ding machen. Neben Kindern dürfte das der größte Glücksspender sein, wenn wir mit 80 zurückblicken und sagen können, dass wir ein uns gemäßes Leben gelebt haben.
Hast du ein Lieblingszitat oder gar ein Lebensmotto?
„So it goes.“ Vonnegut
Mehr Leander gibt es hier:
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Das Interview führte Melanie Raabe.
Foto: Sebastian Mayer.