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David, New York City

„Freedom. We have some. I want more.“

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David! Du lebst in New York, stammst aber aus San Francisco, wenn ich mich recht erinnere. Wie war es, dort aufzuwachsen?
Ich stamme tatsächlich aus Santa Rosa, einer nördlich von San Francisco gelegenen Stadt. Man überquert die Golden Gate Bridge und fährt 60 Meilen nördlich Richtung Sonoma County, wo der größte Teil von Kaliforniens Wein produziert wird. Eine wunderschöne, malerische Gegend, vor allem in der ländlichen Gegend, in der meine Eltern wohnen. Als Kind habe ich es geliebt, in Santa Rosa zu leben. Ich konnte draußen spielen, alle möglichen Tiere in den Feldern und Bächen fangen. Wir hatten Kühe, Hühner, Gänse, Schafe und andere Tiere, die wir gefüttert und mit denen wir gespielt haben. Als Teenager begann ich es zu hassen, in Santa Rosa zu leben. Ich habe mich isoliert und ungewollt gefühlt in einer Stadt, die – wie ich erfahren habe – nicht gerade die toleranteste ist. Mir wurde klar, dass meine Familie in einer Art – wie ich es nenne – „ländlichem Ghetto“ lebte: Hauptsächlich arme, schwarze Familien, die alle in einer Gegend wohnten, die die Stadt ganz bewusst nicht eingemeindete, so dass bestimmte öffentliche Dienste wie Wasser, Abwasser, Elektrizität und Straßen Jahrzehnte hinter der Zeit zurück waren in Vergleich zu dem, was in der unmittelbaren Nachbarschaft Standard war. Wir hatten auch keine Highschool in der Gegend, also wurden ich und meine Freunde aufgeteilt und im Bus zu Schulen in anderen Nachbarschaften gefahren. An meinem ersten Schultag wurde ich begrüßt, indem man mich mit Äpfeln bewarf und mir „Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist!“ zurief. Die anderen schwarzen Schüler und ich hatten auch Drohbriefe von der Neonazi-Gruppe „White Aryan Resistance“ mit Bildern von Lynchjustiz in unseren Schließfächern. Unsere Schule hat nichts unternommen, um uns zu helfen. Ich bin schließlich auf eine etwas etwas offenere Schule gewechselt, zu der auch viele meiner Freunde gingen. Es war nicht perfekt, aber ich konnte mich auf’s Lernen und auf meine Musik konzentrieren. Außerdem traf ich dort andere schwule Jungs. Das war super. Schließlich habe ich mich entschieden, weit, weit weg von Santa Rosa auf’s College zu gehen, nämlich auf’s Berklee College of Music.

Wie groß ist deine Familie?
Meine Kernfamilie besteht aus meinen Eltern Helen und Bill, und meinen Brüdern Terry, Elijah und Willie. Ich bin der drittälteste Sohn.

Lebt deine Familie noch in Kalifornien? Besuchst du sie oft?
Meine Eltern leben nach wie vor in dem kleinen Haus, in dem ich aufgewachsen bin, und zwar mit meinem jüngeren Bruder Willie, seiner Frau und fünf Kindern.

Was bedeutet Familie für dich?
Familie ist das Fundament, auf dem du dir ein glückliches Leben aufbauen kannst. Das sind die Leute, die dich ermutigen, zu wachsen – trotz der Herausforderungen, die dir begegnen. Ich bin mit einer sehr liebevollen und unterstützenden Familie gesegnet.

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Wie ist es, in New York zu leben?
New York ist verrückt, und ich liebe es. Ich bin wie mesmerisiert von seinen Kontrasten und Widersprüchen, Schmutz und Schönheit, Vielfalt und Ungleichheit, Opulenz und Mangel. All das passiert gleichzeitig, drunter und drüber. Jahr für Jahr wird es schwerer, hier zu leben – und gleichzeitig noch schwerer, wegzugehen.

Als schwarze Deutsche interessiert es mich, wie es ist, heutzutage, im Jahr 2013, schwarz zu sein und in den USA zu leben. Wie siehst du das?
In den USA schwarz zu sein, hier und heute, 2013, ist kompliziert. Ganz allgemein glaube ich, dass Rassismus und Vorurteile schwächer werden, oder zumindest subtiler, aber das hängt auch davon ab, wo du bist, wie dein Bildungsstand ist, welcher Klasse zu angehörst; diese Faktoren beeinflussen, wie du behandelt wirst und wie es dir ergeht. Als schwarzer, gebildeter Mann in Manhattan, als Mann mit einem guten Job und einer eigenen Immobilie stehen die Dinge ziemlich gut. Ich habe die meisten Tage das Gefühl, gleichwertig behandelt zu werden; aber gelegentlich werde ich immer noch von der Polizei angehalten, in bestimmten Läden oder Restaurants schlechter bedient, von Taxifahrern ignoriert; manchmal wird automatisch angenommen, dass ich der Postbote bin – solche Dinge. Ich weiß aber, dass das nichts ist verglichen mit dem, was schwarze Männer erleben, die weniger gebildet sind, in einer anderen wirtschaftlichen Situation sind oder in anderen Gegenden leben. Ich glaube, die zwei Amtszeiten von Präsident Obama haben einen wirklichen Dialog eröffnet, den Horizont vieler Menschen geöffnet und neue Möglichkeiten aufgezeigt. Gleichzeitig hat das dazu geführt, dass Menschen mit rassistischen Ansichten Gleichgesinnte mobilisiert haben, um alles beim Alten zu halten.

Als Frau mit vielen schwulen Freunden interessiert mich natürlich auch, wie es ist, als schwuler Mann in den USA zu leben. Wie empfindest du das?
Schwul sein in den USA, das empfinde ich als ganz ähnlich wie schwarz sein in den USA. Alles in allem wandeln sich die Dinge zum Besseren. Aber das hängt wiederum davon ab, wo du lebst, welcher Klasse du angehörst, wie gebildet du bist. Die gleichen Leute, die rassistische Ansichten haben, tendieren auch dazu, homophob zu sein, obwohl ich auch schon Rassismus durch andere Schwule erfahren habe, oder Homophobie durch andere Schwarze. Aber je mehr von uns sich outen und je mehr unserer heterosexuellen Verbündeten den Mund aufmachen, desto eher werden den Leuten die Augen geöffnet werden. In puncto Ehe werden wir im ganzen Land in 10, 15 Jahren volle Gleichheit vor dem Gesetz erreicht haben, da bin ich mir sicher.

Wo lebst du in New York? Was magst du an deiner Nachbarschaft und was hasst du?
Ich wohne in Manhattan, im Teil West Harlem. Die Gegend heißt Hamilton Heights. Ich liebe sie. Ich verlasse mein Gebäude mit Eigentumswohnungen, trete auf den Riverside Drive hinaus und sehe den Park, in dem ich als freiwilliger Helfer arbeite. Ich ziehe mein eigenes Gemüse im Riverside Valley Community Garden. Ich fahre sogar jeden Tag mit meinem Rad in die Stadt – entlang des Hudson River. Was mich am meisten stört an der Gegend, in der ich wohne, ist deckungsgleich mit der größten Beschwerde, die ich über New York im Allgemeinen habe: Müll und Hundescheiße. Wir müssen die Leute wirklich besser erziehen, was das Wegwerfen von Müll betrifft und das hinter ihren Hunden saubermachen, und wir müssen Strafen einführen.

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Erzähl ein bisschen was über dich. Was ist dein Job?
Ich bin ausgebildeter Sänger mit einem Abschluss in Musik. Ich singe in Bands und Chören, toure und nehme Musik auf seit ich 14 bin. Ich habe mir eine lange Pause von der Musik gegönnt, weil es nicht mehr so viel Spaß gemacht hat, und weil ich mehr Stabilität wollte. Ich arbeite als member experience manager für AIGA the Professional Association for Design. Das ist eine durchaus anständige Art, meinen Lebensunterhalt zu verdienen und gleichzeitig weiter mit anderen kreativen Leuten zu arbeiten, und ich war so in der Lage, mir eine Eigentumswohnung in Manhattan zu kaufen. Jetzt, wo ich das Gefühl habe, ein wenig Wurzeln geschlagen zu haben, widme ich mich wieder mehr meinen Leidenschaften wie der Gartenarbeit oder der veganen Küche.
Vergangenes Jahr bin ich ein großes Risiko eingegangen und habe ein Café eröffnet. Ich hatte keine Erfahrung und kein Geld, bin einfach ins kalte Wasser gesprungen. Meine Karte mit lokal gerösteten Kaffees, mit Tees, Smoothies, Säften, Paninis, Salaten und Backwaren bekam super Kritiken und wurde gut aufgenommen, aber das Gebäude, das ich gemietet hatte, die Leute, von denen ich es gemietet hatte, die ganzen Steuern und Gebühren und all das haben dazu geführt, dass ich das Café diesen Juli geschlossen habe. Es war traurig, aber auch eine große Erleichterung.

Wolltest du schon immer ein Café eröffnen?
Ich habe immer davon geträumt, ein Café zu besitzen, und ich bin froh, dass ich es einfach gemacht habe. Ich arbeite langsam daran, ein anderes Café in Harlem zu eröffnen, aber ich habe keine Eile.

Hast du ein Vorbild? Zu wem schaust du auf?
Zu meiner Mutter. Sie hat die Stärke, Kraft und Ausdauer der Liebe. Ich hoffe, es in meinem Leben genauso machen zu können.

Was ist dein größter Traum?
Freedom. We have some. I want more. (Hier spare ich mir einfach mal die Übersetzung, weil’s so schön ist. Anm. d. Bloggerin)

Was inspiriert dich?
Die Natur.

Hast du eine Lebensphilosophie?
Liebe.

Was würdest du gerne in 10 Jahren machen?
Ich will machen, was ich will, wann ich will und wie ich es will.

Das Interview führte Melanie Raabe. Be friendly! Meet me at http://www.facebook.com/mademoiselleraabe.

Alle Fotos: privat