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Anne, Köln/Reykjavík


Nicht jeder Mensch ist gleich begabt fürs Glück, es gehört eine Menge Mut dazu.“

 

Anne! Was arbeitest du – und wie kam es dazu?

Ich bin als Schriftstellerin tätig.
Gefühlt schon seit ich fünf Jahre alt bin, denn seitdem schreibe ich jeden Tag. Zunächst ins Tagebuch, später auch als Journalistin und als Autorin fürs Radio und Fernsehen.
Mein allererster Ghostwriting-Job waren Reden für eine EU-Politikerin.
Der erste Fernsehjob war beim Kinderfernsehen. Ich schrieb Serien für Nickelodeon, wurde Regie-Assistentin für eine US Kinofilmproduktion.
Lange Zeit war ich hinter den Kulissen tätig, arbeitete als Talentscout für die Missfits-Show im WDR Fernsehen, schrieb Witze für Fernsehunterhaltungsshows, wie „7 Tage – 7 Köpfe“ bei RTL und für Kabarettistinnen für die Bühne.
Alles, was die Verdichtung von Texten betraf, kam auf herrliche Weise zu mir, von der täglichen Radio-Politglosse, über Features und Hörspiele bis hin zum Werbetext.
Ein Drehbuch brachte mich schließlich an die US Westküste.
In San Francisco angekommen, bekam ich plötzlich so viele Anfragen von Sendern aus Deutschland, dass ich vier Jahre lang blieb. Ich glaube, ich habe mich noch nie an einem Ort so zuhause gefühlt, wie in Nordkalifornien.
In Deutschland hieß es immer „Du musst dich für etwas entscheiden“, aber hier konnte ich endlich einfach kreativ sein und fand ein Umfeld, in dem all meine Talente plötzlich gewollt waren, konnte mich wesentlich freier entwickeln und schaffte es mit Leichtigkeit, in der Filmbranche dort Fuß zu fassen.

Parallel dazu arbeitete ich als freie Korrespondentin fürs europäische öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen. Die Frau, die bis dahin standardmäßig alle deutschen und österreichischen Sender versorgt hatte, war gerade nach Neuseeland gezogen, es gab also eine riesige Lücke und fast täglich News aus dem Silicon Valley und der ganzen Bay Area.
Was ich an San Francisco auch so mochte, war der Arbeitsethos meines gesamten Umfeldes– in Deutschland war mir bis dahin immer vorgeworfen worden, ich sei ein „Workaholic“, hier schwamm ich plötzlich im Strom derer, die genauso arbeiteten und die Lebensqualität am Pazifik war gleichzeitig durch das Leben am Pazifik sehr groß.
Dabei erlebte ich einen interessanten Effekt, der eintritt, wenn du 9000 Meilen und 9 Stunden Zeitverschiebung entfernt tätig bist: Du arbeitest wesentlich konzentrierter, wenn während deines normalen Tages die Bürozeiten in Europa längst beendet sind.

So blieb Zeit für größere Projekte. Zwei Bücher, die ich als Ghostwriterin annahm, brachten mich auf die Spur. Eines davon wurde enorm erfolgreich und auch wenn mein Name nicht auf dem Cover stand, bekam ich dadurch ein Gefühl dafür, dass ziemlich viele Leute lesen wollten, was ich verfasst hatte. Das änderte etwas in meiner Selbstwahrnehmung als Schreibende. Es machte mir klar, dass ich mehr zu sagen hatte, als das, was als Film oder Radiostück schneller verpuffte.

Kurz darauf hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Ich wurde mit einem meiner Dokumentarfilme auf ein europäisches Filmfestival eingeladen, das die Richtung meines Lebens vollkommen verändern sollte: Die Aschewolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajokull hinderte mich und drei weitere Regisseurinnen daran, zurück in die USA zu fliegen. Während der fünf Tage, die wir miteinander wartend auf den Rückflug verbrachten, erfuhr ich die Geschichte von hunderten deutscher Frauen, die 1949 aus Deutschland nach Island gegangen waren und deren Geschichten bei uns vollkommen unbekannt waren. Das gab den Impuls. Ich war mir dessen bewusst, dass wir alle ihre Geschichten kennen würden, wären sie Männer gewesen, reiste nach Island und stieß auf eine unglaubliche Story, denn diese Frauen hatten alle nie über ihre Motive gesprochen, warum sie Deutschland verlassen hatten. Sie hatten ihre Biografien nicht einmal mit ihren isländischen Familien geteilt. Ich plante eigentlich einen Dokumentarfilm darüber und bekam, bevor ich zu drehen beginnen konnte, das Angebot von einem Verlag, erst mal ein Buch darüber zu schreiben. FRAUEN FISCHE FJORDE wurde ein Bestseller und so seltsam es klingen mag, dieses Buch machte mich zur Schriftstellerin. Den Film dazu drehte ich übrigens nie.

Gerade gab ich das Manuskript zu meinem achten Buch ab.

Was begeistert dich an deiner Arbeit?

Mich begeistert die Vielfalt dieser Tätigkeit, es erfüllt mich, dass ich einerseits lange und tiefgreifende Recherchen machen kann, zum Beispiel weltweit in historischen Archiven grabe und gleichzeitig Menschen befrage, ihre Geschichten erzählen darf, ihre Erfahrungen einfließen lassen kann und dann wieder diese ganz stillen, hoch konzentrierten Phasen des Schreibens habe. Den Fokus zu vertiefen.

Manchmal denke ich, ich bin im richtigen Moment ins Schriftstellerinnenleben geworfen worden, denn ich drehe oft aus einem alten Impuls heraus erst einmal Filmsequenzen mit den ProtagonistInnen meiner Bücher und nehme Töne auf und das passt gut in unsere Zeit, weil es mir leicht fällt, das alles dann in den entsprechenden Kanälen zu teilen, wenn die Bücher erscheinen. Mir macht diese Vielfalt unglaublich viel Freude. Und ich habe schon bei meiner zweiten Lesung etwas entwickelt, von dem ich nie wusste, dass das in mir schlummert. Ich hatte mir nicht klargemacht, dass ich doch viel über Bühnendramaturgie lernte, als ich fürs Unterhaltungsfernsehen und für die Bühne schrieb. Und so kam aus mir schon bei der zweiten Lesung eine Rampensau raus, von der ich selbst nicht die leiseste Ahnung hatte, bevor ich vor ein paar hundert Zuschauern eine Lesung geben sollte. Meine Lesungen habe ich von Anfang an mit Sounds und Filmclips kombiniert und im Laufe der Jahre entstand dadurch eine sehr eigenwillige Form der Literaturstandup. Ich habe in meinen 675 Lesungen noch keine einzige wiederholt, das würde mich selbst langweilen.

Das ist immer ein ganz schönes In-Kontakttreten mit dem Publikum, mit meinen Leserinnen und Lesern, bei dem wahnsinnig viel gelacht wird, selbst bei tragischen Stories und das ist für mich immer ein hoch konzentrierter Abend für mich, der da stattfindet und der von einer großen Woge von Energie getragen ist, auch von einem herrlich gegenseitigen Austausch.

Je größer die Lesung, desto schöner, ich hatte eine ganze Reihe von Lesungen mit über 1000 Gästen. Das liebe ich, denn das hat sich zu einer ganz eigenen Form entwickelt. Bei meiner letzten Lesung in Ostdeutschland gestanden mir allerdings ein paar Besucherinnen, dass sie zwar meine Bücher auch lieben, aber vor allem immer in meine Literatur-Standups kämen, weil sie dann – wie sie sagten „noch Monate lang so eine Energie spüren“! Das hat mich ziemlich erstaunt.

Gerade kehrte ich von einer Lesereise aus Island zurück. Das waren außergewöhnlich tiefe und schöne Momente, die ich mit meinem Publikum dort teilen durfte. An manchen Tagen hatte ich 800 – 1000 Kilometer zwischen zwei Lesungen zu überbrücken. Mit dem Flugzeug und auf der Schotterpiste im Jeep. Irre!

Was machst du, wenn du nicht arbeitest?

Oh, kann man das trennen? Es ist wohl eine Art Berufskrankheit aus dem Journalismus, dass meine Antennen immer ziemlich auf Empfang stehen, aber ja, ich entspanne natürlich auch, mache seit meiner Kindheit viel Sport, meditiere jeden Tag zweimal, was wohl Menschen, die mich bei meinen sehr vitalen Bühnen-Standups erleben, sehr überraschen dürfte.

Aber zu der aktiven Seite kommt tatsächlich eine stille Seite. Aus ihr schöpfe ich viel Energie. Und wenn ich frage „kann man das trennen?“, dann meine ich damit auch, dass ich oft bei meinen langen Laufrunden auf Texte komme, oder wenn ich im Text stocke, laufen gehe, weil ich tatsächlich glaube, dass die Sätze bei mir oft aus der Bewegung stammen. Ich sitze zwar viel, aber beim Texten stehe ich oft auf und gehe umher, brauche Perspektivwechsel.

Meine große Liebe und wohl meine einzig wirkliche Sucht (neben isländischen Lakritz) : Kino! Egal wo ich bin, ich gehe notorisch häufig ins Kino.

Zu meiner städtischen Seite, der, die sich aus der Kultur, etwa in Köln oder Reykjavík (wo ich in diesem Jahr sehr viel Zeit verbringe) speist, kommt meine tiefe Liebe zur Natur.

Mir gibt die Natur Antworten auf Fragen des Lebens. Ich bin auf einem einsamen Bauernhof in der Pampa des Tecklenburger Landes aufgewachsen. Mein erstes Haustier war ein Rehbock. Natur und Tiere sind mir immer wichtig gewesen und ich konnte schon Greifvögel am Flugbild erkennen und kannte alle Bäume, lange bevor ich schreiben konnte. Ich bin ein Birdwatcher und liebe es, dass manche Veranstalter das wissen. Es gibt einen sehr tollen Buchhändler an der polnischen Grenze, der geht mit mir immer Kraniche gucken, bevor ich am Abend dort auf die Lesebühne gehe.

Was mich auch tief erfüllt, sind Reisen und es ist eine große Freude und ein Privileg, dass ich das sehr gut mit meinem Beruf verbinden kann.

Was würdest du als deine Berufung bezeichnen?

Meine Berufung ist es, Menschen zum Leuchten zu bringen und ihre Geschichten vollständig zu erzählen, Fragmente einer Story so zusammenzufügen, dass es eine Erklärung gibt, wir einen Sinn dahinter erkennen, im weitesten Sinne vielleicht sogar eine Erlösung darin finden. Für mich steht am Anfang eines neuen Buches immer die Frage, welchen Effekt es auf unsere Gesellschaft haben wird, was gibt das Buch nicht nur den einzelnen Leser*innen, sondern welche Lücke kann es füllen, die von besonderem gesellschaftlichem Wert ist?

Was treibt dich an?

Vor allem Neugier. Kein Wunder, dass ich beim Radio noch immer begeistert für die wunderbare WDR 5-Sendung NEUGIER GENÜGT arbeite.

Aber auch mein Gerechtigkeitssinn. Vielleicht auch der Wunsch, eine Art Frieden herzustellen. Ich bin vom Studium her Sozialwissenschaftlerin und habe einen Abschluss als Familientherapeutin. Ich legte immer viel Wert darauf, dass ich nie praktiziert hätte, mir diese Ausbildung aber bei meinen journalistischen Interviews helfe und bei meinem ersten Buch musste ich feststellen, dass meine Aufarbeitung der Einwanderungsgeschichte der Frauen in FRAUEN, FISCHE, FJORDE ganz schön viel bei ihren Familien auslöste. Ich hatte keine Ahnung, was für krasse Geschichten von Krieg und Vertreibung sie hatten. Keine von ihnen hatte je ihren isländischen Familien von der Tragik ihres Lebens, das sie vor ihrer Ankunft in Island führten, erzählt. Nun musste ich plötzlich mit Familien zusammen richtig daran arbeiten, dass eine Ordnung hergestellt wurde, allein schon dadurch, dass ich die alten Ladies endlich dazu gebracht hatte, zu sprechen. Das war anstrengend und sehr beeindruckend und plötzlich machte mein altes Handwerk Sinn. Was mich auch antreibt, ist die Erkenntnis, dass das Leben mich an manchen Stellen wohl als Medium einsetzt, als Medium zwischen Menschen und ihren Geschichten. So erlebe ich es und dafür bin ich sehr dankbar, denn so ergibt meine Arbeit einen tiefen Sinn für mich. Ich hoffe, natürlich auch für andere.

Worauf bist du besonders stolz?

Tatsächlich darauf, dass meine Geschichten etwas auslösen. Bei meinem ersten Buch erlebte ich unglaubliche Widerstände. Einerseits waren da diese krassen Stories aus Island. Ich war jedes Mal vollkommen erschöpft, wenn ich von einem der Interviews aus total abgelegenen Orten am Polarkreis zurückkam, so tragisch waren die Biografien der alten Frauen, die längst mit Deutschland gebrochen hatten. Das hatte ich mir bei all meiner Phantasie nicht ausgemalt und dann hatte ich wahnsinnig Stress mit meinem allerersten Verlag, die mich tatsächlich 8 Wochen vor der Buchmesse rausschmissen, weil ich nicht so „spurte“, wie sie das wollten. Die erwarteten ein Null-acht-fünfzehn Buch, wollten das sogar „Isländischer Bauer sucht Frau“ nennen, worauf ich antwortete „Over my dead Body“. Nur über meine Leiche. Ich bin Tochter eines Landwirts und hatte verrückterweise gerade ein Comedy-Hörspiel für den WDR mit Lioba Albus zusammen geschrieben, in dem der Regisseur der gleichnamigen Privat-TV-Serie tot in der Jauchegrube gefunden wurde, eine wahnsinnig lustige „Who’s done it- Geschichte“. Wie hätte ich das zulassen können?

Was mich seltsamerweise rettete, war, das damals alle sagten „Im nächsten Jahr interessiert sich niemand mehr für Island“. Wären nicht alle davon überzeugt gewesen, dass Island nach dem Buchmessenauftritt des Landes keine Rolle mehr spielen würde, ich hätte die Story in die Schublade gelegt und erst – ich schwöre – zwei Jahre später wieder rausgeholt. Heute ist das ein irrwitziger Gedanke, denn damals begann der große Boom mit Island erst und er hört nicht auf.

Im Nachhinein kam raus, dass man mich vom Verlag wohl nur disziplinieren wollte. Der Rauswurf war mit das Beste, was mir als Schriftstellerin passieren konnte, denn als ich endlich weinen wollte, aus Gram darüber und auch aus Erschöpfung, wurde mir plötzlich klar, dass ich das Buch jetzt endlich so schreiben konnte, wie ICH das wollte. Das noch verrücktere: Ich hatte einen lausigen Vertrag und hätte daran nicht mal ein Zehntel dessen verdient, was mein Buch schließlich für mich abwarf.

Mein österreichischer Verleger und ich wurden glücklich darüber. Es hat dan als Paperback noch mal ein verrücktes und schönes neues Leben bekommen, als es unterm Piper-Dach bei Malik landete, in der National Geographic Reihe und damit bei Buchmenschen, die mich als Schriftstellerin enorm fördern.

Aber ja, ich habe unglaublich für und um dieses erste Buch kämpfen müssen, in den ersten Jahren bin ich kurz an einen Verlag geraten, der sich als kriminell herausstellte und der die Autorinnen (das hatten sich tatsächlich nur Frauen gefallen lassen – was sagt uns das?) bewusst betrog. Ich war die Einzige, die dagegen klagte und nach Jahren und einige Gerichtsinstanzen später bekam ich Recht. Wir konnten denen tausende Buchexemplare an Schwarzverkäufen nachweisen. Und da wir gerade darüber sprechen: Zum Stolz gehören die richtigen Freunde:

Hättest Du, Melanie, mir damals nicht in einer entscheidenden Minute den richtigen Satz gesagt, ich hätte vielleicht auch so, wie die anderen betrogenen Autorinnen aufgegeben. Du sagtest mir damals, als ich gerade überlegte, ob ich nicht doch lieber wieder in die USA und zum Film zurückgehen sollte „Wer bei so vielen Rückschlägen immer noch so glücklich schreibt, ist Schriftstellerin!“ Auch das hat mich damals bewegt, nicht aufzugeben. Dafür danke ich dir.

Stolz ist ein Gefühl, das ich nicht allzu oft habe. Als ich in diesem Sommer die Reise von Bundespräsident Steinmeier in Island begleiten durfte, die er anlässlich der „70 Jahre deutsche Einwanderung“ an den Polarkreis machte und da die letzten Überlebenden mit dem Bundespräsidenten und unserer First Lady zusammenkamen, da spürte ich das plötzlich. Die hochbetagte Alma, die ich in FRAUEN, FISCHE, FJORDE portraitiert hatte, sagte diesen Satz „Dass ich das noch erleben darf“ – da dachte ich „All die Kämpfe für mein erstes Buch haben sich gelohnt“. In diesem Moment war ich sehr stolz, denn so verrückt es klingen mag – mein Buch löste eine neue Welle der isländisch-deutschen Freundschaft und letztlich sogar einen Staatsbesuch aus.

Welches war deine bisher interessanteste Reise?

Eine Atlantiküberquerung auf einem Segelboot, einem 22 Meter langen Katamaran. Vollkommen verrückt, ich war mal wieder auf Abenteuer aus und total begeistert und landete schließlich bei 7 Meter hohen Wellen irgendwo auf diesem riesigen Ozean, der mich die Demut lehrte, die ich bis dahin nicht hatte. Ich war vorher noch nie seekrank, aber hier wollte ich an zwei Tagen einfach nur noch sterben. Und doch war es die verrückteste und interessanteste Reise bisher, denn ich meine, dass ich ein bisschen mehr von der Welt verstanden habe da draußen, Auge in Auge mit einer riesigen Pottwalmutter und ihrem Jungen neben uns oder nachts, wenn der Sternenhimmel in der Karibik sich mit seinen Millionen von Lichtern bis zum Horizont über Dich senkt und Du an Deck liegst und heulen möchtest über die Schönheit und Geborgenheit in dieser Welt. Ich war früher mal mit einem leidenschaftlichen Segler zusammen und habe den nie verstanden, aber da habe ich etwas von dieser Welt der Segler begriffen und auch ein bisschen davon in meinen neuen Roman REYKJAVÍK BLUES einfließen lassen.

Was ist das Aufregendste oder Interessanteste, was dir je passiert ist?

Da muss ich nicht lange nachdenken. Das war meine Begegnung mit Gerta Stern. Eine seltsame Fügung brachte unser beider Leben in Verbindung – ich war nach Panama City eingeladen worden und hatte dort eine Lesung in der Deutschen Residenz. Eine alte Dame stand beim Signieren vor meinem Tisch und hielt eines meiner Sachbücher in der Hand, sagte „Weißt du, dass das erst das zweite deutsche Buch ist, das ich lesen werde?“

Vor mir stand Lotte, die beste Freundin von Gerta. Lotte erzählte mir von der Welt der jüdischen Emigranten in Panama. Das überraschte mich vollkommen, denn ich hatte schon 20 Jahre davor für eine amerikanische Filmproduktion zum Exil der 1930er Jahre gearbeitet und mir immer eingebildet, nahezu alles darüber zu wissen. Von Panama war da nie die Rede. Diese Begegnung eröffnete mir eine vollkommen neue Welt und ich bin so glücklich und froh, dass ich diese Welt der alten jüdischen Emigrantinnen noch ein paar Jahre lang ausgiebig kennenlernen durfte, denn das waren die größten Lehrmeister im Leben, die ich je hatte: Vollkommen in ihrer Lebensfreude, tief dankbar für das Leben, das ihnen noch mal geschenkt wurde und so voller Neugier und Unbefangen allem Fremden gegenüber.

Ich lernte Gerta Stern durch Lotte kennen. Die beiden waren beste Freundinnen. Die eine so dröge und norddeutsch, wie eine Hamburgerin in der Ferne nur sein kann und Gerta im Vergleich dazu die jüdisch wienerische Dramaqueen. Als ich Gerta begegnete, wurde es ein wenig spooky, denn sie erwies sich als die Nichte des berühmten Komponisten Siegfried Translateur. Der kam in meinem ersten Roman NORDBRÄUTE vor, der gerade in dem Jahr erschienen war.

Gerta und ich sahen uns ziemlich überrascht an, als das klar wurde. Ich beschloss, ihre außergewöhnliche Geschichte fürs Radio zu erzählen, denn sie war eine Schauspielerin in Wien gewesen, hatte einen der ersten Fußballprofis geheiratet und war mit ihm eigentlich auf dem Weg nach Südafrika gewesen, als die beiden von den Progromen in Hamburg überrascht worden waren und er im Konzentrationslager landete. Mit Hilfe eines unbekannten Helfers war es Gerta damals gelungen, ihren Mann aus dem KZ zu befreien. Der Unbekannte, von dem sie nur den Vornamen wussten, hatte ihnen sogar die Schiffspassage nach Panama geschenkt, denn das war das einzige Land, in das sie sich mit seiner Hilfe als Juden noch retten konnten.

Als ich das Interview über dieses verrückte und später so erfolgreiche Leben in Panama schon beendet hatte, warf ich aus einem Impuls heraus mein Aufnahmegerät noch mal an und stellte Gerta eine letzte Frage. Sie sah selbst viel jünger aus, als sie war, war damals aber schon 99 Jahre alt und betrieb noch immer ihren gut gehenden Kosmetiksalon. Wir saßen bei fast 40° Grad und 97% Luftfeuchtigkeit in den Tropen. Ein paar Monate später wollte sie ihren hundertsten Geburtstag in Österreich, in ihrer alten Heimat feiern.
Und nun schoss sie wie aus einer Pistole in mein digitales Aufnahmegerät: „Wir haben nie erfahren, wer dieser Herr Otto war, dem wir unser Leben verdanken“
Gerta meinte, dass es doch eine Schande sei, dass dieser Mann, der alles für sie riskiert hatte, ihnen nie seinen vollen Namen genannt habe und sie sich nie bedanken konnten. Sie hatte gleich nach dem Krieg in Mittelamerika damit begonnen, ihn zu suchen, aber irgendwann aufgegeben und vermutete nun, er müsse wohl im Krieg umgekommen sein.
In diesem Moment in Panama wusste ich, dass ich ihn finden kann. Gerta verriet ich nichts davon, denn ich hatte beschlossen, dass das mein Geschenk zu ihrem 100. Geburtstag würde. Das konnte doch nicht sein, dass sie 100 würde und nicht wusste, wem sie ihre Rettung zu verdanken hatte.

Es war verrückt, denn ich fand diesen Otto Dettmers ziemlich schnell. Ich kannte sogar seine Villa, war als Studentin in Bremen jeden Tag an seinem Haus zur Uni vorbeigeradelt. Er war inzwischen längst gestorben, aber ich wusste nun, wer Gerta und ihre Familie gerettet hatte. Dann lud mich das 5-Sterne-Hotel zu Gertas Geburtstagsfeier ein. Allein die Feier zu Gertas Hundertstem war der Hammer: 60 Leute aus 15 Ländern. Die alte Dame feierte mit uns anderen eine ganze Woche lang in ihrem schicken Stammhotel in Bad Hofgastein und hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich ihr schenken würde.
Sie war sprachlos, als ich meine Rede dort hielt und ihre lebenslange Frage auflösen konnte.
Am dritten Tag in Bad Hofgastein wusste ich: Das ist das zweite Mal in meinem Leben, das mir eine historische Geschichte mit Happy End geschenkt wird, die noch nicht erzählt wurde und ich wusste auch, ich würde es mir wahrscheinlich bis ans Lebensende vorwerfen, dieses Buch nicht gemacht zu haben.
Das Memoir, das ich schrieb, „Señora Gerta“ landete in der Spiegel Bestsellerliste, aber was mich mit noch mehr Freude erfüllte, war der Brief, den ich von Ulrike, einer der Enkelinnen von Gertas Retter erhielt „Ihr Buch klärt alle Fragen, die ich mir mein Leben lang schon stelle!“ Wir fanden inzwischen drei weitere jüdische Familien, die Otto Dettmers auch gerettet hat.
Im Jahr darauf flogen wir gemeinsam mit Ulrikes Tochter nach Panama. Das Buch hatte also viele positive Folgen. Unter anderem auch, dass Gerta noch mit 101 einen Heiratsantrag erhielt und sie sogar noch einen Werbevertrag im panamaischen Fernsehen bekam. Sie starb glücklich und erfüllt mit fast 104!

Was ist die wichtigste Lektion, die du bisher gelernt hast?

Mir treu zu bleiben, auf mein Bauchgefühl zu hören, meinen Instinkten zu trauen. Ein Beispiel ist der Verlag aus München, der mich betrogen hat. Die dortige Verlegerin rief mich an, weil die unbedingt meine Bücher in ihrer Firmengründung mit im Portefeuille haben wollten und als ich nach dem ersten Gespräch auflegte, dachte ich „die klingt wie eine verzickte Dreizehnjährige, die nicht das kriegt, was Papi ihr versprochen hat“ – im Nachhinein muss ich sagen: Stimmte komplett.

Und wenn ich Verlegerin sage, muss ich das hier relativieren, denn das war das erste Verfahren in der deutschen Verlagsgeschichte, dass jemand behauptete „Verleger“ zu sein, ohne dafür die nötigen Voraussetzungen zu erfüllen. Die ganze Firma war offensichtlich nur gegründet worden, um ein Abschreibungsprojekt zu kreieren.

Verbunden damit übrigens war die Lektion, sich mit den Besten zu verbinden. Ohne meinen Anwalt, der auf Verlagsrecht spezialisiert war, hätte ich das nicht geschafft. Und den Agenten des Literaturbetriebes zu vertrauen. Eine Agentur im Rücken zu haben, hat mein Leben als Schriftstellerin sehr viel leichter gemacht.

Zum vermeintlichen Bauchgefühl, das so platt klingen mag: Ich machte dieses Buch über weibliche Tibetische Gelehrte. Beim Schreiben stieß ich auf ein im Buddhismus wichtiges Organ: nämlich das, was wir Bauch nennen und das schon im Buddhismus als das wichtigste Organ angesehen wird. In der Meditation schließen wir uns daran an: Da liegen 200 Millionen Nervenzellen, die haben uns wirklich was zu sagen!

Hast du Vorbilder? Welche?

Ja, einige sogar. Bestimmt ist Gerta für mich zum Vorbild geworden. Nachdem mein Memoir über sie fertig war, begann eine tiefe Freundschaft. Ich empfand es als großes Glück, von einem Menschen in meinem Leben begleitet zu sein, der so viel Lebenserfahrung hat. Ich reiste noch regelmäßig nach Panama und Gerta und ihre Freundinnen nahmen mich auf in ihren Kreis vollkommen ungebrochener, starker Persönlichkeiten. Gerta wurde in ihrer tiefen Fröhlichkeit und ihrem Ungebrochensein, ihrem vollkommenen Mut, es mit den Nazis aufzunehmen und sein eigenes Glück zu retten, zu einem Vorbild für mich.

Früher hätte ich bestimmt als erstes gesagt: Tania Blixen und zu den wenigen Dingen, die ich mir nur schwer verzeihen kann (höchsten 2 oder 3) , gehört, dass ich nicht das Original Tintenfässchen von ihr kaufte, dass mir mal für 60 $ zum Kauf angeboten wurde. Aber diese Haltung ist natürlich tief romantisch und hat auch was mit dem Blick auf das „alte“ Schriftstellerleben zu tun. Let’s face it: Wir arbeiten und leben in einem Business, in dem es um ernsthafte Dinge und ein komplexes Handwerk geht. Auf eine Weise ist mein indischer Meditationslehrer ein Vorbild für mich, denn er schafft es immer wieder, mich mit seinem Wissen zu überraschen und zu fördern.

Wer in diesem Leben (nach all den großen Vorbildern meiner Jugend von Hermann Hesse bis Doktor Schweizer) mein Vorbild wurde, ist eine Künstlerin, die ich in San Francisco kennenlernen durfte: Topher Delaney ist die bedeutendste Landart-Künstlerin der USA. Sie hat unter anderem Liebesgedichte in Braille-Schrift aus Felsen in einem Park in Nordkalifornien gebaut, die man nur aus der Luft lesen kann. Sie ist jemand, die meinen Blick auf die Welt sehr veränderte. Topher wurde schon als Teenager Assistentin von Jackson Pollock und war die Erste, die „heilende Gärten“ machte, indem sie die Lehre Hildegard von Bingens in die moderne Landart übernahm.

Topher ist jemand, die ich in ihrer Fähigkeit für große Visionen und für ihre positive Form der Kompromisslosigkeit bewundere.
Sie war auch diejenige, die mich zur Seite nahm und ernst ansah und sagte „Du weißt aber schon, dass du eigentlich eine Künstlerin bist, oder? Du kannst dem nicht entkommen und musst dich dem endlich stellen!“
Das hat mir geholfen, mich zu trauen, das auszudrücken, was ich heute mache.

Was inspiriert dich?

Menschen, Menschen und nochmals Menschen. Nichts finde ich spannender und schöner und inspirierender als Menschen in ihrer Vielfalt. Mir fallen dabei sofort russische Einwandererkinder in der israelischen Negevwüste ein, bei denen ich mal am Schulunterricht teilnehmen durfte. Selten sind mir glücklichere Menschen begegnet. Für meinen ersten Dokumentarfilm drehte ich in einem Indianerreservat in Süddakota. Die Lakota Sioux, die ich da treffen durfte, fand ich hoch interessant, ich verbrachte viel Zeit mit der Schamanin des Stammes, wir hatten unglaubliche Diskussionen über ein gelingendes Leben, das ist jetzt 20 Jahre her, hat mich aber als tiefe Inspiration bis heute nicht losgelassen.

Was macht dich glücklich?

Ein Mensch, der mich sehr liebte, sagte mal den schönen Satz „Du siehst die Schönheit Gottes in jeder Wolke!“ – und ja, that’s it! Ich halte mich für sehr „glücksbegabt“. Ich arbeite in einem alten Turm und ich schaue dabei durch fünf konvex in den Himmel gerichtete Fenster, schaue in die Wolken und blicke über Baumkronen hinweg und kann gar nicht aufzählen, wie viele Glücksmomente ich so am Tag habe: Die schönste Wolke, lachende Kinder in der Schulpause im Park.

Manchmal sind es auch Sätze, die schön sind und die mir jemand ins Ohr flüstert oder schreibt, oder die ich im Vorbeigehen höre.

Den Sommer habe ich in diesem Jahr in Island verbracht. Irgendwann hörte ich auf, dort die Glücksmomente zu zählen, denn in Island bin ich mitten in der Natur und in dieser schönen Gemeinschaft dort oft sehr glücklich. Zu den wundervollsten Momenten meines Lebens gehört der, als ich mich bei der Rückkehr der Singschwäne im Frühjahr in Island mal spontan auf ein freies Feld legte und mich mit meinem Daunenmantel zudeckte, der zum Glück die Farbe des Feldes hatte. Hunderte von Singschwänen landeten um mich herum und ich lag heulend vor Glück unterm Daunenmantel und spürte die Kraft ihrer großen Flügel um mich herum, hörte ihre Gesänge, weil sie gerade alle nach Südisland zurückkehrten. Aber nichts, wirklich nichts toppt ziehende Kraniche.

Und Menschen, Gemeinschaft, gemeinsames Lachen macht mich sehr glücklich. Oft übrigens auch mein Bruder, wenn wir uns Geheimcodes aus der Kindheit zuwerfen, verbale Codes, dann könnte ich ausflippen vor Glück. Verrückt, wie nachhaltig und wie tief so etwas wirkt. Das ist dann auch Verbundenheit und Glück durch Sprache. Ich wuchs mit norddeutschem Plattdeutsch auf. Speziell diese Sprache lässt mich manchmal ganze Glückswellen erleben.

Was macht dich wütend?

Früher hat mich vieles wütend gemacht, aber seit ich meditiere, nicht mehr viel. Die Wut führt oft dazu, nicht klar zu bleiben. Ich bin heute sehr viel besonnener, als früher. In der Regel ist es Politik, die mich wütend machen kann. Das ist wohl genetisch bedingt, denn in meinem Elternhaus pflegten wir heftige Debatten, meine Eltern waren beide politisch engagiert und das ist wie ein Muskel, den ich schon als Kind ausbilden musste, weil das einen großen Stellenwert in meiner Herkunftsfamilie hatte.

Wenn jemand, der dir nahe steht, unglücklich ist: Wie munterst du sie oder ihn wieder auf?

Total bekloppt, aber das weckt in mir komplette Mutterinstinkte, denn ich bin geradezu besessen davon, dass dieser Mensch sofort etwas Gutes essen muss. Ich bekoche dann wie eine Glucke und gebe nicht auf, bis der- oder diejenige wieder lachen kann.

Hast du ein Lebensmotto?

Werde, die/ der Du bist.

Ein Lieblingszitat?

Das wechselt immer mal. Deshalb habe ich gerade in mein Tagebuch geblickt und fand ein schönes Zitat meiner großen Lehrmeisterin Gerta Stern AKA „Senora Gerta“, das ich hier teilen möchte: „Nicht jeder Mensch ist gleich begabt fürs Glück, es gehört eine Menge Mut dazu.

Was ist der Sinn des Lebens?

Die Erde ein bisschen besser zu machen durch die eigene Anwesenheit, eine positive Spur auf ihr zu hinterlassen!

Welche Frage habe ich vergessen, obwohl du eine spannende Antwort darauf gehabt hättest?

Wow! Ja, diese hier: „Was macht dieser Fragebogen mit dir?“
Er bringt mich auf erstaunliche Antworten, denn du hast beeindruckende Fragen (o.k., bis auf die nach meinem Alter).

 

Mehr über Anne Siegel:

www.AnneSiegel.de
Insta – theAnneSiegel (https://www.instagram.com/theannesiegel/)
FB – Anne Siegel / Autorin & Frauen Fische Fjorde (https://www.facebook.com/AnneSiegelAutorin/ & https://www.facebook.com/FrauenFischeFjorde/)

Annes aktuellsten Roman REYKJAVÍK BLUES gibt es überall dort, wo es Bücher gibt.

 

Das Interview führte Melanie Raabe.
Foto: Jacobia Dahm

 

Leigh, New York City

“ I believe in everything until it’s disproved.

Foto: Agata Domanska

Foto: Agata Domanska

Leigh Martha is a german-american Actor and Singer based in NYC“, verrät deine Facebookseite. Aber du stammst nicht aus New York, oder? Wo bist du aufgewachsen?
Nein, ich bin im wunderschönen Rheinland aufgewachsen, in Krefeld. Dort wurde ich bilingual von meinen Eltern erzogen, meine Mutter stammt aus den USA und mein Vater aus dem Ruhrgebiet. Aber ich habe sehr viel Familie hier in den USA, die meisten sind rund drei Stunden entfernt, daher fühle ich mich sehr zu Hause.

Wie warst du als Kind?
Meine Eltern würden sagen ein Wirbelwind! Ich auch. Immer unterwegs, und zwar nicht gehend, sondern laufend. Zum Glück hatten wir einen tollen Garten hinterm Haus, in dem ich herumtollen konnte.

Wolltest du schon immer auf die Bühne oder vor die Kamera?
Da ich so ein quirliges Kind war, haben meine Eltern ziemlich früh Hobbys für mich gesucht und haben dieses tolle Kinder- und Jugendtheater der Musikschule Krefeld gefunden. Das war mein zweites Zuhause ab meinem siebten Lebensjahr. Dort manifestierte sich dieser tiefe Wunsch, immer auf der Bühne stehen zu wollen. Meinen Aha-Moment hatte ich mit 12 Jahren, als ich Peter Pan spielen durfte. Ich konnte mir plötzlich nichts anderes vorstellen, als mir meinen Traum zu erfüllen und ein Leben lang auf der Bühne zu stehen.

Wie war deine Jugend?
Wenn ich an meine Jugend denke, erinnere ich mich an meine Freunde von der Schule und vom Theater. Ich war ständig unterwegs, hatte neben der Schule viele Hobbys und hatte einen bunt gemischten Freundeskreis. Ich glaube, wenn man in seinen „Teens“ ist, ist das Leben sehr schwierig. Erste große Liebe, Schule – in meinem Fall vor allem Mathe – viele Fragen über die Zukunft: Wer bin ich überhaupt? Wo ist mein Platz in diesem Universum? Was ist der Sinn des Lebens? Wo geht’s hin nachdem Abitur? Aber es ist auch wiederum einfach eine genial Zeit, wenn man ein Netzwerk von Gleichgesinnten um sich hat. Meinen Freunden habe ich eine wahnsinnig tolle Jugend zu verdanken.

Was bedeutet es für dich, Deutschamerikanerin zu sein? Fühlst du dich eher deutsch oder eher amerikanisch (falls man das so einfach beantworten kann)?
Diese Frage habe ich bis heute nicht für mich beantworten können, und für einen Großteil meines Lebens habe ich mich auf der Suche nach einer Antwort fast verrückt gemacht, statt einfach glücklich zu sein mit dem Wirrwarr. Jetzt sehe ich es so, dass meine emotionale Seite die amerikanische ist und meine logische Seite die deutsche, eine perfekte Mischung.

Wie würdest du dich in drei Worten beschreiben?
Ich bin mir nie sicher, ob Adjektive auf mich zutreffen. Ich würde sagen, dass ich eine Kombi aus Glitzer, Gummibärchen und einer Trauerweide bin.

Was hat dich dazu bewogen, nach New York zu ziehen?
Ich hatte immer dieses Gefühl, dass mir was gefehlt hat in Deutschland. Ich konnte es nie benennen, bis ich mich wirklich für den Schritt entschieden hatte, alles zurückzulassen und in den Flieger zu steigen. New York City fühlte sich von Anfang an wie mein zu Hause an, ich musste es nicht erkämpfen, das Gefühl war einfach da.

Wie ist das Leben in New York? Was magst du? Was nervt dich?
Ich liebe mein Leben hier, aber es ist definitiv nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das Schauspielerleben ist unglaublich schwer in dieser Stadt, jeder Tag ist neu und ein Abenteuer, wenn man es zulässt! Ich liebe NYC für die Offenheit, für die Möglichkeit, dass man sein Leben an einem Tag komplett verändern kann, für das Gefühl angekommen zu sein. Mich nervt an NYC, wie schnell man in diesen Teufelskreis verfallen kann, dass man Geld braucht zum Überleben – diese Stadt ist sehr teuer – und dafür einen Job annehmen muss. Und dass man dann plötzlich keine Zeit oder Energie mehr hat, das zu machen, was man eigentlich will. Es ist ein schwieriger Balanceakt, der unglaublich frustrierend sein kann. Aber die Liebe für diese Stadt überwiegt.

Wie sieht ein ganz normaler Tag in deinem Leben aus?
Schwierig zu sagen, ich habe in NYC fast zwei Leben. Ich arbeite drei Tage die Woche als Barkeeper in einem französischen Bistro in Brooklyn, um meinen Traum finanzieren zu können.
Die restlichen vier Tage bin ich Leigh die Schauspielerin. Ich wache auf in meiner Wohnung in Brooklyn und brauche erst einmal eine riesige Tasse Kaffee. Parallel suche ich nach Auditions und bewerbe mich für alles von Theater über Synchronsprechen bis hin zu TV. Oft gibt es Open Calls für Musicals oder Schauspielstücke in Manhattan, und da zieht es mich dann hin – und das Warten beginnt. Irgendwo in einer Schlange mit 300 anderen Schauspielern wartend auf der Straße, um dann 16 Takte vorsingen zu dürfen! Ich höre nie auf zu lernen, nehme so viel Unterricht wie nur möglich, ich hab zwar in Deutschland studiert, aber: „NYC is a different animal“! Momentan probe ich für ein neues Musical namens „Ghostlight“. Ich spiele die Hauptrolle Olive Thomas, es ist ein aufregender Prozess, neuer Musik Leben einzuhauchen. Wir haben zwei Wochen Zeit, alles einzustudieren, und Ende des Monats gibt es dann ein öffentliches Staged Reading in einem kleinen Theater. AUFREGEND!

Wie sähe ein perfekter Tag für dich aus?
Ui! Was ist schon perfekt? Haha! Ich glaube, ein perfekter Tag in meinem Leben sähe so aus, dass ich in meiner Wohnung in Brooklyn aufwache, meinen morgendlichen Kaffee trinke und mich dann auf den Weg zur Probe in Manhattan mache und am Abend eine Show am Broadway oder Off-Broadway spiele. Und danach mit einem Lächeln im Gesicht die Subway nach Hause nehme! Das wäre gigantisch!

Was inspiriert dich?
Meine Familie und meine liebsten Freunde inspirieren mich jeden Tag aufs Neue.

Hast du ein Lieblingszitat oder Lebensmotto?
„I believe in everything until it’s disproved. So I believe in fairies, the myths, dragons. It all exists, even if it’s in your mind.Who’s to say that dreams and nightmares aren’t as real as the here and now.“ – John Lennon

Hast du Vorbilder?
Meine Mutter Ruth ist für mich ein riesiges Vorbild. Wenn ich mal erwachsen bin, möchte ich so sein wie sie. Sie hat mich dazu inspiriert, Deutschland zu verlassen und meinen Traum zu erfüllen. Sie hat die USA verlassen, um ihren Traum zu erfüllen und hat in Deutschland ihr zu Hause gefunden.

Was ist dein größter Traum?
Mein größter Traum ist es, als Schauspielerin hier in NYC zu leben und überleben zu können.

Was ist der Sinn des Lebens?
Ich glaube, der Sinn meines Lebens ist, Menschen mit meinem Talent aus ihrem Alltag zu ziehen, für einige Minuten oder Stunden. So dass sie einfach alles andere vergessen können!

 

Mehr über Leigh gibt es auf: http://www.leighmarthaklinger.nyc

Das Interview führte Melanie Raabe.
Foto: Agata Domanska.

 

Sabrina, 28, Siegen

„Einfach mal machen!

 

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Sabrina! Genau wie ich auch bist du in einer Kleinstadt namens Wiehl aufgewachsen. Wie war deine Kindheit?
Grün. Ich kann nicht genau sagen warum, aber ich empfinde meine Kindheit als grün. Grüne Wiesen, grüne Bäume und eine furchtbare grüne Leggins haben sich in meinem Kopf als Erinnerungen festgesetzt. Wahrscheinlich eine kognitive Dissonanz, weil ich eigentlich immer nur lesen wollte und man mich regelrecht zwingen musste, das Haus zu verlassen. Die städtische Bibliothek durchzulesen war eher mein Ziel als auf Bäume zu klettern oder Blumenkränze zu basteln.

Und deine Jugend?
Schnell. Vereine, Theater, Abi-Organisation. Von einem Projekt zum nächsten. Immer auf der Suche nach Beschäftigung, dem nächsten Projekt, in das ich mich einbringen kann. Auf der Suche nach der einen Leidenschaft in Zusammenarbeit mit spannenden Menschen.

Du hast eine Zeit lang Theater gespielt. Hat dir das was gebracht – abgesehen von Spaß?
In jedem Fall die Erkenntnis, dass ich Grenzen im Kopf habe, die zu schnell eingreifen, als dass ich frei Theater spielen könnte. Deshalb bin ich recht schnell auf die andere Seite gewechselt und habe versucht, kreative Köpfe in ihrer Kreativität zu unterstützen, indem ich Rahmenbedingungen schaffe. Das ist eher meine Stärke. Aber Theater spielen hat mir in jedem Fall die Freiheit gegeben, vor Menschen sprechen zu können. Wenn man dann noch in einer Zeit Theater gespielt hat, in der Sprechtraining mit Balladen auf dem Programm stand, weiß man, wie man „König“ ausspricht, man weiß wie man so atmet, dass man 1,5 Stunden lang deutlich, klar und kräftig sprechen kann und man weiß, wieviel Arbeit gute Rhetorik ist. Das hilft mir heute oftmals. Den ersten Tag eines zweitätigen Rhetoriktrainings kann ich mir für gewöhnlich sparen. Auch dass eine Bühne in Balance sein sollte, hilft mir bei meinen Präsentationen häufig. Und dass Theater und Literatur eine Leidenschaft ist, die ich, egal welche Karrierewege ich einschlage, nicht aufgeben möchte, das wird mir auch immer wieder klar, wenn ich an meine „Jugend“ zurückdenke.

Gehst du immer noch kreativen Hobbies nach? Welchen?
Zur Zeit leider nicht. Meine Promotion ist gerade mein Hobby. Ich habe im letzten Jahr alles andere aufgegeben, um mich völlig darauf konzentrieren zu können. Aber das wird sich bald wieder ändern. Denn es reicht einfach nicht. Bis 2014 habe ich zusammen mit ein paar extrem spannenden Leuten ein studentisches Wirtschaftsmagazin entwickelt und vermarktet. Dort habe ich mich an neuen Textsorten versucht, über Grafiken diskutiert und daran gearbeitet, Grenzen im Kopf zu überwinden. Das war eine unglaublich spannende Zeit! Mit Ingenieuren über Wörter zu streiten, mit Grafikern Farben und Designelemente zu diskutieren und mit BWLern zu diskutieren, ob auch philosophische Ansätze in einem Wirtschaftsmagazin ihren Platz finden dürfen, war unglaublich inspirierend. Ich war für die „Mädchen-Themen“ zuständig, in einer Gruppe voller Männer. Das hat viel Raum für anregende Diskussionen gegeben und war immer wieder spannend!

Du bist Juristin. War Jura schon immer der Plan? Was reizt dich an Jura?
Ich bin in der vierten Klasse aufs Gymnasium gegangen, weil ich Jura studieren wollte, habe in der siebten Klasse Latein gewählt, weil ich Jura studieren wollte, habe das Abi durchgezogen weil ich Jura studieren wollte und habe es dann schlussendlich nicht getan. Mein Sozialwissenschaftsleistungskurs war schuld. Da hatte ich einfach zu viel Spaß daran, ökonomische und politische Fragestellungen zu diskutieren. Deshalb habe ich Wirtschaftsrecht studiert, nach zwei Semestern noch ein Bachelorstudium in Literatur, Kultur und Medienwissenschaften begonnen, um heute in BWL zu promovieren. Ich finde Jura immer noch spannend, der Glaube an Gerechtigkeit und Regeln ist elementar, aber die Themen, mit denen ich mich derzeit beschäftige sind einfach spannender.

Bist du ehrgeizig?
Es war es mir nie wert, für eine Eins ein privates Projekt aufzugeben. Eine Drei hätte ich aber auch nicht akzeptieren können. In dem Rahmen spielt sich mein Ehrgeiz ab.

Was treibt dich an?
Selbstverwirklichung und der Drang, Sachen besser zu machen, als sie bisher sind.

Woran arbeitest du gerade?
Derzeit nur an meiner Promotion. Die muss fertig werden. Ich hatte einen Zeitplan, und wenn ich den einhalten will, dann muss die Promotion Prio 1 haben. Aber Folgeprojekte sind in meinem Kopf, ich muss mal anfangen andere Köpfe zu suchen, die Lust haben, neue Projekte mit mir zu verwirklichen.

Was wünschst du dir für deine berufliche Zukunft?
Selbstverwirklichung. Arbeit ist mehr als ein Beruf. Ich möchte nie das Gefühl haben, für Sachen bezahlt zu werden, die ich nicht machen möchte, im Sinne von „Arbeit ist Leid und Bezahlung Schmerzensgeld“. Wir arbeiten so viele Stunden am Tag, dass Arbeit ein elementarer Bestandteil unseres Lebens ist. Deshalb möchte ich mit meiner Arbeit was erreichen. Das kann ich mir im wissenschaftlichen Bereich vorstellen, weil ich Studenten mag, Familienunternehmen faszinierend finde und glaube, mit interdisziplinären Forschergruppen noch richtig viel erreichen zu können. Das kann ich mir aber auch in der Privatwirtschaft vorstellen, mit Menschen, die was mit ihrem Produkt erreichen wollen, die werteorientiert Gewinne erzielen und die nicht an das Hamsterrad und an „Ich muss leiden also musst du auch leiden!“ glauben, sondern an motivierte Arbeitnehmer, die mit und in dem Unternehmen etwas verändern wollen und dafür bereit sind, Leistung zu erbringen.

Und was wünschst du dir für deine private Zukunft?
Ausgeglichenheit. Familie und Freunde im näheren Umfeld als Erdung und Motivator.

Was würdest du anordnen, wenn du für einen Tag die Welt beherrschen würdest?
Ruhe. Ich selbst kann Nichts-Tun nur schwerlich ertragen, aber ich erkenne immer mehr, wie wichtig es ist, zur Ruhe zu kommen. Ich könnte mir vorstellen, dass wenn alle Menschen auf der Welt gleichzeitig einen Tag wie den folgenden verleben würden: Aufstehen, Frühstücken, ein Spaziergang, eine Stunde bei einer Tasse Tee schweigen und nachdenken, Kommunikation mit Menschen über die Dinge über die man nachgedacht hat, Mittagessen, ein Mittagsschlaf, eine Stunde schweigen und nachdenken, Kommunikation über die Dinge über die man nachgedacht hat, ein Spaziergang, Abendessen, Kommunikation bei einem Glas Wein über die Erkenntnisse des Tages, schlafen – … dass dann viele Probleme der Welt gelöst werden könnten.

Was inspiriert dich?
Kunstprojekte, Unternehmensgründungen und Gründer. Zuletzt hat mich eine Installation in Düsseldorf inspiriert: In Orbit. So dass ich zwei mal da war, um diese zu erleben. Kunst zusammen mit Ingenieuren entwickelt und umgesetzt. So eine starke Wirkung hatte selten etwas auf mich. Unternehmensgründungen und Gründer faszinieren mich immer wieder. Menschen, die aussteigen, um ihr Ding zu machen. Was es für unglaublich coole Projekte und Menschen gibt! Wäre ich doch nicht so furchtbar deutsch und risikoavers…

Was macht die glücklich?
To-do-Listen abhaken.

Was ärgert dich maßlos?
Ungerechtigkeit, Selbstgefälligkeit, Pseudoreligiöse, Umweltverschmutzung, Werbung in guten Filmen, schlechtes Essen …

Hast du Vorbilder? Helden?
Das wechselt immer mal wieder. Menschen, die Verantwortung übernehmen und für Ideen einstehen und sich nicht vom System einengen lassen, es aber dennoch berücksichtigen und in ihm agieren finde ich großartig. Ich glaube nicht daran, dass Fähnchen im Wind, die immer den untersten Weg gehen nur um nicht anzuecken, erfolgreich und glücklich werden. Gründer und Gründerinnen sind oft dabei. Immer wieder verneige ich mich vor meiner guten Freundin Katharina, die sich mit Lokaldesign in Hamburg immer und immer wieder neu erfindet, die kämpft, um Lokaldesign am leben zu erhalten, besser zu machen und diese eine Idee die Idee ihres Lebens werden zu lassen. Es gibt Wissenschaftler in meinem Feld, von denen ich lernen will. Mein aktuelles Vorbild ist in jedem Fall Nadine Kammerlander, weil sie mich immer wieder an den Punkt bringt zu fragen: „Wie macht sie das bloß?“ 2014 warst du meine Heldin, ich bin gespannt wer es 2015 wird.

Hui! Also erstens: Danke für das Kompliment! Und zweitens: Wer oder was hat dich in deinem Leben am meisten beeinflusst?
Literatur, gute Filme und meine Zeit in der studentischen Unternehmensberatung. Dass ich mich für den Literaturwissenschaftsbachelor entschieden habe, hat mich definitiv am meisten geschult im Denken und in der Möglichkeit, Sichtweisen zu ändern. Und meine Zeit in der studentischen Unternehmensberatung hat mich präsentieren, diskutieren und moderieren gelehrt. Ich habe während dieser Zeit so spannende Menschen kennengelernt. Keine Diskussion, kein Konzept, kein Projekt und keinen kennengelernten Menschen würde ich missen wollen.

Wie würdest du dich in drei Worten selbst beschreiben?
Leidenschaftlich, kritisch und streitbar.

Was glaubst du, wie andere dich in drei Worten beschreiben würden?
Strukturiert, ehrgeizig, durchdacht.

Hast du ein Lieblingszitat oder Lebensmotto?
Ich glaube an Lebensabschnitte und an deren eigenes Gefühl. Deshalb ändern sich die Mottos auch ständig. Zur Zeit fühlt sich mein Leben an wie ein Marathon in dem es gilt durchzuhalten, dennoch halte ich an einem Grundsatz fest: „Einfach mal machen!“

 

Das Interview führte Melanie Raabe.
Foto: privat.

 

Bea, 37, Köln

„Ich bin ein Kämpfer und gebe nicht auf“


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Bea! Du lebst in Köln. Wo bist du geboren?
Sozusagen „In einem Land vor unserer Zeit“, nämlich 1977 in der DDR, genauer gesagt in Dessau. Ich bin also in zwei Ländern aufgewachsen. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr in der DDR und dann in der BRD. Geprägt hat mich beides. Heute denke ich manchmal, wie verrückt und aufregend es doch ist, ein winziger Teil unserer Geschichte zu sein. Mir fallen dann meine Oma ein und ihre Erzählungen. Sie hatte in ihrem Leben auch drei Währungsreformen erlebt, genau wie ich.

Du arbeitest als Schauspielerin und Regisseurin. Wie bist du zum Theater gekommen?
Das Theaterblut fließt seit Generationen in den Adern meiner Familie. Urgroßvater Opernsänger, Großeltern Opernsänger, Vater Schauspieler… Naja, da war ich für jeden anderen Beruf verdorben. Ich bin schon als kleines Kind im Dessauer Theater auf der Bühne rumgesprungen, da ich dort im Chor gesungen habe. Es war eine tolle Kindheit, denn das Theater war für mich wie ein riesiger Abenteuerspielplatz, und so kam ich mir zwischen all den Kulissen und Kostümen wie Alice im Wunderland vor. Leider habe ich nie mit meinem Vater zusammen auf der Bühne gestanden, denn er starb als ich 10 war. Ab diesem Moment war der Wunsch, selber Schauspielerin zu werden und in seine Fußstapfen zu treten, noch größer. Der Beruf ist immer noch meine Verbindung zu ihm, und dadurch, dass ich seinen Künstlernamen angenommen habe, habe ich das Gefühl, sein Andenken zu bewahren.

Was würdest du machen, wenn du nicht am Theater gelandet wärst?
Zum Glück (oder leider?) gab es nie eine Alternative. Als es nach dem Abitur drei Jahre lang nicht mit einem Studienplatz für Schauspiel geklappt hat, begann ich für vier Semester Design am Bauhaus zu studieren. Glücklicherweise kam dann die „Erlösung“ durch den Ausbildungsplatz am Theater der Keller. Ich glaube, für jeden anderen Beruf fehlt mir das Talent.

Du hast also schließlich an der Schauspielschule des Theaters der Keller studiert. Wie war die Zeit dort?
Sie war der letzte Versuch nach drei erfolglosen Jahren des Vorsprechens. Ich weiß noch genau, dass ich den Nachtzug von Dessau nach Köln gar nicht nehmen wollte und mich erst in letzer Sekunde dazu aufraffen konnte, doch zu fahren. Als der Zug dann morgens um 7 Uhr über die Hohenzollernbrücke rollte, war ein wunderschöner Regenbogen über der Stadt zu sehen und ich wußte: „Das wird mein Tag.“ Wenn ich so zurückschaue, ist es gut, dass ich lange darum kämpfen musste, Schauspielerin werden zu dürfen. Ich habe mich dadurch auch geprüft und weiß, dass ich nie etwas anderes machen möchte, auch wenn es immer mal Rückschläge gibt. In der Schauspielschule habe ich eine richtige Wandlung durchgemacht, innerlich wie äußerlich, denn ich war anfangs extrem schüchtern und unscheinbar. Großartig war, dass man schon während der Ausbildung am „Keller“ spielen durfte und dadurch das Erlernte nicht im sterilen Klassenraum blieb, sondern sein Publikum fand. So war ich auf das Berufsleben da „draußen“ gut vorbereitet. Und ich hatte wunderbare Lehrer. Herbert Wandschneider zum Beispiel, bei dem ich mich ohne Angst in „Gombrichs Geschichte(n)“ freispielen und ausprobieren konnte.

Was würdest du jungen Schauspielerinnen raten?
Der Beruf ist hart, besonders für Frauen. Prüfe dich, ob du es wirklich willst, mit allen Konsequenzen. Und wenn du es wirklich von Herzen willst, dann mach es mit deinem ganzen Herzen.

Was liebst du an deinem Job?
Das Unerwartete, das Lampenfieber, die Kreativität, die Energie, und die Erleichterung und Freude nach einer gelungenen Premiere.

Und was weniger?
Es ist ein sehr unsicherer und manchmal auch unfairer Beruf. Oft entscheidet nur der „Typ“ und nicht die Leistung.

Ist Köln ein guter Ort für Theaterleute?
Es ist sicherlich ein guter Ort um gleichgesinnte, kreative Leute kennenzulernen und sich auszutauschen oder gegenseitig zu inspirieren. An den äußeren Bedingungen in der freien Szene ließe sich aber noch so einiges optimieren. Als freies Ensemble wie es das „Theater Skurreal Noir“ ist, muss man sich für ziemlich viel Geld in einer Spielstätte einmieten und trägt ganz allein das Risiko. Bekämen diese freien Spielstätten Zuschüsse, müssten sie keine so hohen Mieten nehmen, und es würden sicher noch mehr Stücke in Eigeninitiative produziert. Köln könnte in dieser Hinsicht also noch um einiges bunter sein. Obwohl die freie Szene in Köln auch jetzt schon beachtlich ist.

Welches ist deine Traumrolle? Hast du sie schon gespielt?
Ich mag es, Figuren mit Ecken und Kanten zu spielen. Eine Traumrolle selber gibt es nicht. Meist „verliebe“ ich mich in die Rolle, die ich gerade spiele, und versuche ihr Leben einzuhauchen.

Du hast mit einer tollen, unglaublich detailverliebten Inszenierung von „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ dein Regiedebüt gegeben. Was hat dich gereizt an diesem Stoff?
Danke. Ja, es war wirklich mein erstes eigenes „Baby“ und ist eigentlich aus der Not heraus geboren. 2013 war für mich ein schwieriges Jahr, viele Vorsprechen, viele Absagen, viele Selbstzweifel. Eines abends im Mai kam dieser großartige Film im Fernsehen. Ich liebe ihn schon seit meiner Kindheit und bleibe jedesmal davor hängen, wenn er läuft. Doch diesmal traf es mich wie ein Blitz und ich dachte: „Den Stoff muss ich auf die Bühne bringen“. Es ist eine makabere und düstere Geschichte mit abgründigem schwarzen Humor. Genau das, was ich liebe. Ab diesem Moment spürte ich eine enorme innere Kraft, die mich bis zur Premiere angetrieben hat. In relativ kurzer Zeit habe ich eine Bühnenfassung geschrieben, das Stück besetzt (denn die Schauspieler hatte ich bereits beim Schreiben vor Augen), das Bühnenbild entworfen und dann losgeprobt. Ich hätte mir das vorher nie zugetraut und ich habe auch einige damit überrascht. Vor allem mich selbst.

Wie ist das Projekt gelaufen? Und planst du, erneut als Regisseurin zu arbeiten?
Trotz aller Anfängerfehler, die ich gemacht habe, und um die ich auch weiß, bin ich stolz auf unser „Baby“. Ich sage ganz bewußt „unser“, denn es ist eine wirkliche Gemeinschaftsarbeit zwischen den Schauspielern und mir gewesen. Gerade Gisela Nohl, die als „Jane“ das Stück tragen musste, hat sich ohne zu zögern ganz der Rolle geöffnet und eine vielschichtige Figur erschaffen. Und mit Uta-Maria Schütze stand meine ehemalige Schauspiellehrerin als Blanche an ihrer Seite. Ich bin sehr dankbar, dass sie dieses Experiment mit mir gewagt hat. Sonia Fontana hat als Hausmädchen alle spanischen Texte beigesteuert und ganz nebenbei noch die Choreografie gezaubert. Es ist also das Ergebnis vieler fleißiger und selbstloser Menschen, die wie ich an die Sache geglaubt haben. Und wir wurden auch mit viel positivem Feedback belohnt. Eigentlich sollte das Stück auch ab Januar 2015 wieder laufen, aber leider ereilte mich im Oktober ein Anruf aus Amerika, und nun dürfen wir aus rechtlichen Gründen das Stück nicht mehr spielen. Das ist sehr bitter und ein herber Schlag, denn wir wollten alle unbedingt und mit Freude weiterspielen. Nun machen sich Entsetzen und Enttäuschung breit. Bevor der Anruf kam, begann sich in meinem Kopf schon das nächste Projekt zu formen. Ich spiele mit dem Gedanken, „Psycho“ auf die Bühne zu bringen. Bilder und Besetzung habe ich schon vor Augen und Lust wieder zu schreiben auch. Aber die Lähmung nach dem „Baby Jane“-Schock ist noch da. Aber ich bin ein Kämpfer und gebe nicht auf. Irgendwann muss die Energie wieder sprudeln, sonst platze ich.

Hast du Vorbilder?
Schon lange bewundere und verehre ich Judi Dench und Imelda Staunton. Zwei Ausnahmeschauspielerinnen.

Was macht dich glücklich?
Es sind die kleinen Dinge, die mich innerlich lächeln lassen. Mein Kater schnurrend auf meinem Schoß, ein schöner Abend mit Freunden, Besuche in der Heimat, ein Stück Schokolade langsam auf der Zunge zergehen zu lassen, lange Spaziergänge, ein guter Film. Es gibt so vieles.

Was inspiriert dich?
Andere Menschen und Kulturen. Musik.

Hast du ein Lebensmotto?
Gib niemals auf. Und gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.

Was ist das Interessanteste, das dir je passiert ist?
Das für mich wichtigste Erlebnis war der Mauerfall. Ohne den wäre ich jetzt nicht in Köln und vieles wäre anders.

 

Das Interview führte Melanie Raabe.

Annette, „39, mal wieder“, Köln

„Wahre Liebe lässt los“

 

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Liebe Annette! Du machst so viele unterschiedliche und spannende Dinge. Wenn dich ein Fremder fragt, „was du beruflich machst“ – was antwortest du?
Am Liebsten sage ich: ICH BIN ICH … was auch immer das in dem Moment bedeuten mag. Ich habe so viele Berufe, dass ich manchmal denke, die Leute sind überfordert, wenn ich die alle aufzähle. Also wähle ich immer einen oder zwei aus, je nach Situation, aber ich kann ja mal den Versuch einer Aufzählung machen: Zigarenmanufactrice – das Wort hab ich selbst kreiert – Zigarrenrollerin, Autorin, Sängerin, Dolmetscherin, Künstleragentin, Eventmanagerin, Regisseurin …

Wie schöpfst du die Energie für all deine Projekte?
Ich hab sehr viel Energie von Natur aus. Und wenn ich Menschen begeistern kann, bekomme ich jede Menge zurück. Und wenn die Speicher mal leer laufen, gehe ich in die Natur oder singe.

Wo kommst du her und wie bist du aufgewachsen?
Ich komme aus einer Provinzhauptstadt in Südbaden namens Rheinfelden. Dort bin ich geboren, am südlichen Rande des Schwarzwaldes.

Du reist offensichtlich gerne und viel. Welches war dein schönstes oder interessantestes Erlebnis auf Reisen?
Als afrikanische Voodookünstler, die ich produziert und getourt habe, auf dem Marktplatz eines Dorfes in den Anden Glas zerkaut und runtergeschluckt haben, um den Indios, die noch nie schwarze Menschen gesehen hatten, ein Stück ihrer religiösen Kultur zu zeigen.

Welches ist der interessanteste Mensch, dem du je begegnet bist?
Ahmet Ertegün, der Gründer von Atlantic Records, New York, den ich zwei Jahre vor seinem Tod in Bodrum kennengelernt habe. Er hat mit den Rolling Stones, Led Zeppelin, Aretha Franklin und endlos vielen weltberühmten Musikern gearbeitet. Es war ein gegenseitiges „Sich-Erkennen“ von zwei Persönlichkeiten, als wir uns begegneten, eine Art „platonische Liebe auf den ersten Blick“.

Du bist Besitzerin einer Kölner Zigarrenbar. Wie kamst du auf die Idee? Erzähl doch ein bisschen von deinem Laden.
Das ist keine Zigarrenbar, sondern eine Zigarrenmanufaktur mit Laden und kleinem Salon, in dem wir Seminare abhalten. Die Zigarren sind mir zugeflogen wie ein verirrter Papagei. Ich liebe Kuba, die kubanische Musik und Kultur. Ich habe viele Tourneen kubanischer Künstler organisiert und irgendwann begann ich die „Kunst des Zigarrenrollens“ auf Events zu zeigen, also so eine Art mobile Zigarrenmanufaktur und eh ich mich versah, hatte ich meine eigene Zigarrenmanufaktur – ein Stück Kuba in Köln …

Zudem bist du Autorin. Was hat es mit deinem Buch auf sich? Was steht drin und warum hast du es geschrieben?
Ich erzähle von einem Liebesexperiment, das ich durchgeführt habe. Fünf Männer, fünf Beziehungen parallel wollte ich haben, und das ganz offen und ehrlich. Ich wollte mal was ganz Neues ausprobieren, ausbrechen aus den Konventionen unserer Vorstellung von Partnerschaft. Ich erzähle heiße Stories aus dem Nähkästchen, es geht um Sex, Eifersucht, wilde Experimente und die Sehnsucht nach Liebe. Das Buch hat in der Presse einige Wellen geschlagen, ich war bei vielen Talkshows zu Gast, u.a. bei Markus Lanz, bei Plasberg oder in Backes’ Nachtcafé und erntete nicht wenig pikierte Blicke der Männerwelt.

Du stehst auch immer mal wieder auf der Bühne. Was bedeutet es dir, vor Publikum zu stehen?
Ich liebe die Bühne, ich liebe es, meine innere Rampensau rauszulassen. Wenn ich dann noch Rückmeldungen bekomme, dass ich irgendwas in den Menschen bewege durch meine Musik oder meine Texte, dann bin ich glücklich!

Kennst du Lampenfieber?
Oh ja und wie! Aber ich glaube, das gehört zu einer guten Performance dazu.
 



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Welches ist die wichtigste Lektion, die du bisher gelernt hast im Leben?
Die wahre Kraft und das Glück liegt in Dir. Und in jeder Katastrophe, auch wenn du es erst nicht glauben kannst, ist irgendwo ein Geschenk versteckt.

Hast du ein Lebensmotto oder eine Lebensphilosophie?
Wahre Liebe lässt los.

Was inspiriert dich?
Städte wie Istanbul oder Paris. Am Liebsten sitze ich in Straßencafés und lasse das Leben an mir vorbeiziehen.

Was macht dich glücklich?
Musik. Sex. Sonne.

Gibt es etwas – eine Veranstaltung, ein Buch, eine Homepage – die oder das du gerne promoten würdest? Das ist die Gelegenheit!
Ab 24.10. trete ich mit meiner Show zum Buch „Fünf Männer für mich“ im Kölner Arkadastheater – Bühne der Kulturen auf, (Spieldaten: 24.10 / 30.10. / 11.11. / 18.11. / 11.12. / 23.12 jeweils 20.15 h ) Vorverkauf unter 0221-550 43 15, weitere infos hier www.annettemeisl.de
Mein Buch „Fünf Männer für mich“ kann man in allen Buchhandlungen bekommen oder hier: http://shop.lagalana.de/artikel/fuenf-maenner-fuer-mich
Und in meinem Zigarrensalon gibt es spannende Seminare zu Zigarrenherstellung und Rumverkostungen. www.lagalana.de

 

Das Interview führte Melanie Raabe.

Fotos: Dario Scandura.