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Leigh, New York City

“ I believe in everything until it’s disproved.

Foto: Agata Domanska

Foto: Agata Domanska

Leigh Martha is a german-american Actor and Singer based in NYC“, verrät deine Facebookseite. Aber du stammst nicht aus New York, oder? Wo bist du aufgewachsen?
Nein, ich bin im wunderschönen Rheinland aufgewachsen, in Krefeld. Dort wurde ich bilingual von meinen Eltern erzogen, meine Mutter stammt aus den USA und mein Vater aus dem Ruhrgebiet. Aber ich habe sehr viel Familie hier in den USA, die meisten sind rund drei Stunden entfernt, daher fühle ich mich sehr zu Hause.

Wie warst du als Kind?
Meine Eltern würden sagen ein Wirbelwind! Ich auch. Immer unterwegs, und zwar nicht gehend, sondern laufend. Zum Glück hatten wir einen tollen Garten hinterm Haus, in dem ich herumtollen konnte.

Wolltest du schon immer auf die Bühne oder vor die Kamera?
Da ich so ein quirliges Kind war, haben meine Eltern ziemlich früh Hobbys für mich gesucht und haben dieses tolle Kinder- und Jugendtheater der Musikschule Krefeld gefunden. Das war mein zweites Zuhause ab meinem siebten Lebensjahr. Dort manifestierte sich dieser tiefe Wunsch, immer auf der Bühne stehen zu wollen. Meinen Aha-Moment hatte ich mit 12 Jahren, als ich Peter Pan spielen durfte. Ich konnte mir plötzlich nichts anderes vorstellen, als mir meinen Traum zu erfüllen und ein Leben lang auf der Bühne zu stehen.

Wie war deine Jugend?
Wenn ich an meine Jugend denke, erinnere ich mich an meine Freunde von der Schule und vom Theater. Ich war ständig unterwegs, hatte neben der Schule viele Hobbys und hatte einen bunt gemischten Freundeskreis. Ich glaube, wenn man in seinen „Teens“ ist, ist das Leben sehr schwierig. Erste große Liebe, Schule – in meinem Fall vor allem Mathe – viele Fragen über die Zukunft: Wer bin ich überhaupt? Wo ist mein Platz in diesem Universum? Was ist der Sinn des Lebens? Wo geht’s hin nachdem Abitur? Aber es ist auch wiederum einfach eine genial Zeit, wenn man ein Netzwerk von Gleichgesinnten um sich hat. Meinen Freunden habe ich eine wahnsinnig tolle Jugend zu verdanken.

Was bedeutet es für dich, Deutschamerikanerin zu sein? Fühlst du dich eher deutsch oder eher amerikanisch (falls man das so einfach beantworten kann)?
Diese Frage habe ich bis heute nicht für mich beantworten können, und für einen Großteil meines Lebens habe ich mich auf der Suche nach einer Antwort fast verrückt gemacht, statt einfach glücklich zu sein mit dem Wirrwarr. Jetzt sehe ich es so, dass meine emotionale Seite die amerikanische ist und meine logische Seite die deutsche, eine perfekte Mischung.

Wie würdest du dich in drei Worten beschreiben?
Ich bin mir nie sicher, ob Adjektive auf mich zutreffen. Ich würde sagen, dass ich eine Kombi aus Glitzer, Gummibärchen und einer Trauerweide bin.

Was hat dich dazu bewogen, nach New York zu ziehen?
Ich hatte immer dieses Gefühl, dass mir was gefehlt hat in Deutschland. Ich konnte es nie benennen, bis ich mich wirklich für den Schritt entschieden hatte, alles zurückzulassen und in den Flieger zu steigen. New York City fühlte sich von Anfang an wie mein zu Hause an, ich musste es nicht erkämpfen, das Gefühl war einfach da.

Wie ist das Leben in New York? Was magst du? Was nervt dich?
Ich liebe mein Leben hier, aber es ist definitiv nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das Schauspielerleben ist unglaublich schwer in dieser Stadt, jeder Tag ist neu und ein Abenteuer, wenn man es zulässt! Ich liebe NYC für die Offenheit, für die Möglichkeit, dass man sein Leben an einem Tag komplett verändern kann, für das Gefühl angekommen zu sein. Mich nervt an NYC, wie schnell man in diesen Teufelskreis verfallen kann, dass man Geld braucht zum Überleben – diese Stadt ist sehr teuer – und dafür einen Job annehmen muss. Und dass man dann plötzlich keine Zeit oder Energie mehr hat, das zu machen, was man eigentlich will. Es ist ein schwieriger Balanceakt, der unglaublich frustrierend sein kann. Aber die Liebe für diese Stadt überwiegt.

Wie sieht ein ganz normaler Tag in deinem Leben aus?
Schwierig zu sagen, ich habe in NYC fast zwei Leben. Ich arbeite drei Tage die Woche als Barkeeper in einem französischen Bistro in Brooklyn, um meinen Traum finanzieren zu können.
Die restlichen vier Tage bin ich Leigh die Schauspielerin. Ich wache auf in meiner Wohnung in Brooklyn und brauche erst einmal eine riesige Tasse Kaffee. Parallel suche ich nach Auditions und bewerbe mich für alles von Theater über Synchronsprechen bis hin zu TV. Oft gibt es Open Calls für Musicals oder Schauspielstücke in Manhattan, und da zieht es mich dann hin – und das Warten beginnt. Irgendwo in einer Schlange mit 300 anderen Schauspielern wartend auf der Straße, um dann 16 Takte vorsingen zu dürfen! Ich höre nie auf zu lernen, nehme so viel Unterricht wie nur möglich, ich hab zwar in Deutschland studiert, aber: „NYC is a different animal“! Momentan probe ich für ein neues Musical namens „Ghostlight“. Ich spiele die Hauptrolle Olive Thomas, es ist ein aufregender Prozess, neuer Musik Leben einzuhauchen. Wir haben zwei Wochen Zeit, alles einzustudieren, und Ende des Monats gibt es dann ein öffentliches Staged Reading in einem kleinen Theater. AUFREGEND!

Wie sähe ein perfekter Tag für dich aus?
Ui! Was ist schon perfekt? Haha! Ich glaube, ein perfekter Tag in meinem Leben sähe so aus, dass ich in meiner Wohnung in Brooklyn aufwache, meinen morgendlichen Kaffee trinke und mich dann auf den Weg zur Probe in Manhattan mache und am Abend eine Show am Broadway oder Off-Broadway spiele. Und danach mit einem Lächeln im Gesicht die Subway nach Hause nehme! Das wäre gigantisch!

Was inspiriert dich?
Meine Familie und meine liebsten Freunde inspirieren mich jeden Tag aufs Neue.

Hast du ein Lieblingszitat oder Lebensmotto?
„I believe in everything until it’s disproved. So I believe in fairies, the myths, dragons. It all exists, even if it’s in your mind.Who’s to say that dreams and nightmares aren’t as real as the here and now.“ – John Lennon

Hast du Vorbilder?
Meine Mutter Ruth ist für mich ein riesiges Vorbild. Wenn ich mal erwachsen bin, möchte ich so sein wie sie. Sie hat mich dazu inspiriert, Deutschland zu verlassen und meinen Traum zu erfüllen. Sie hat die USA verlassen, um ihren Traum zu erfüllen und hat in Deutschland ihr zu Hause gefunden.

Was ist dein größter Traum?
Mein größter Traum ist es, als Schauspielerin hier in NYC zu leben und überleben zu können.

Was ist der Sinn des Lebens?
Ich glaube, der Sinn meines Lebens ist, Menschen mit meinem Talent aus ihrem Alltag zu ziehen, für einige Minuten oder Stunden. So dass sie einfach alles andere vergessen können!

 

Mehr über Leigh gibt es auf: http://www.leighmarthaklinger.nyc

Das Interview führte Melanie Raabe.
Foto: Agata Domanska.

 

Pasquale Virginie, 36, Berlin

„It’s O.K. You can breathe. The change happens by itself.“


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Liebe Pasquale! Was machst du beruflich?
Gerade habe ich eine Entscheidung hinter mir: Ich habe entschieden, nach zwei intensiven Jahren Ausbildung zur Praktikerin der Grinberg-Methode mit eben dieser zu pausieren. Ich liebe Entscheidungen! Diese hier gibt mir gerade viel neuen Freiraum nachzufühlen, was ich eigentlich noch so liebe im Leben, außer Menschen zu berühren! Oder anders: mich wieder darauf zu besinnen, wie ich Menschen – außer mit meinen Händen – noch berühren kann, um sie dabei zu unterstützen, ihr Leben zu verändern. Seit 2008 bin ich als Beraterin und Trainerin der politischen Bildungsarbeit tätig, freiberuflich und im gesamten Bundesgebiet. Ich werde von Migrant_innenselbstorganisationen, Universitäten, Stiftungen und politischen Initiativen angefragt, Trainings und Workshops zu den Themen machtkritische Diversity, Empowerment für Menschen mit Rassismuserfahrung und Antidiskriminierung zu geben. Manchmal moderiere ich auch Veranstaltungen und Fachgespräche oder werde für Mediationen angefragt, in denen die Konfliktparteien sich eine rassismus-sensible Begleitung wünschen. In all diesen Bereichen versuche ich, Lernprozesse so ganzheitlich wie möglich zu gestalten. Also methodisch so zu arbeiten, dass der Körper ein selbstverständlicher Teil von Lern- und Transformationsprozessen ist. Denn Diskriminierungformen wie Rassismus oder Sexismus machen sich ja am Körper fest! Gesellschaftliche Vielfalt und daran gekoppelte Diskriminierungerfahrungen sind im Körper eingeschrieben, geschaffene Machtgefälle, konstruierte Unterschiede und Gewalt werden körperlich performiert. Da erscheint es mir absurd, individuelle und gesellschaftliche Transformation ausschließlich mit intellektuellen Analysen, kopflastiger Reflexion und vielen schlauen Worten erreichen zu wollen. Und dann: Ich schreibe. Ja, ich liebe das Schreiben, und ich will mehr davon in meinem Leben haben.

Wo und wie bist du aufgewachsen? Hattest du eine glückliche Kindheit?
„Eine glückliche Kindheit“? Das klingt in meinen Ohren fast schon kitschig. Nun, ich habe viele einzelne Erinnerungen an schöne Momente in meiner Kindheit. Der Rest verschwimmt. Prägend war, dass ich alleine mit einer schwer depressiven Mutter aufgewachsen bin. Also mit einem Menschen, der zwar nicht suizidgefährdet war, jedoch meistens mit der Intensität des Lebens überfordert war. Daher kommt es wahrscheinlich, dass ich mich im Laufe des Aufwachsens immer wieder bewusst für das Leben entschieden habe und es auch heute immer wieder muss! Das Wien der 80er und 90er Jahre war – naja – von beschaulich, idyllisch über geleckt, verstaubt bis morbid und rassistisch.

Wie warst du als Teenager?
Die längste Zeit ein „Fliegengewicht“ das „von Liebe und frischer Luft“ lebt, mit „Bienenstichen statt Brüsten“ – wurde mir öfter mal gesagt. In Wirklichkeit war ich als Teenager im Wesentlichen damit beschäftigt, mich von meiner Mutter abzugrenzen, fröhlich zu sein, auch wenn ich es gar nicht war, zwischendurch von zu Hause abzuhauen, unglücklich verliebt zu sein, mit meiner besten Freundin eng umschlungen in der Klasse zu sitzen, unglaublich viel Gummizeugs zu essen, auf den Flohmärkten die schicksten Teile aus den Klamottenhaufen zu fischen  – und solche Dinge halt. Irgendwann wollte ich Gogo-Tänzerin werden, weil ich in den Gogo-Tänzer vom Club P1 in Wien verknallt war. Doch Vater – den ich mit 13 kennengelernt hatte – ist ausgerastet und hat es mir verboten. Und weil ich so froh war, dass mein Vater überhaupt – auch wenn mit Verboten – irgendwie in Erscheinung trat, hab ich es gelassen.

 

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Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Ich schlafe gerne lang. Das heißt, wenn ich nicht gerade um 8 Uhr einen Zug nach München oder Köln nehmen muss, geht vor 9 bei mir gar nichts. Meine Woche ist in der Regel strukturiert durch ausgedehnte Rumdaddelphasen, die ich oft mit „Freizeit“ verwechsle und im Internet verbringe, und Arbeitsphasen, in denen ich irgendeiner Frist hinterherjage um eine Zusage zu erfüllen, die ich irgendwann mal gemacht habe. Oder ich schreibe Mails, in denen es darum geht, wann ich die gemachte Zusage erfüllen kann. Oder To-Do-Listen mit Namen, wen ich alles an- oder zurückrufen muss. In den Rumdaddelphasen gehe ich auch mit Freundinnen oder Freunden im Kiez Mittagessen, ’ne Runde um den Block und Café trinken. Dann habe ich mehrmals in der Woche Skype- oder Face-to-face-Besprechungen, in denen ich mich mit meinen diversen Kolleginnen und Kollegen kurzschließe, wir Anfragen, Trainingskonzepte oder Organisatorisches besprechen. Am Abend bin ich entweder mit Freundinnen und Freunden oder meinem Partner unterwegs oder genieße es sehr, gerade nicht unterwegs zu sein und alleine zu sein. Und irgendwann ab 23 Uhr schlagen die Fristen in meinem Kopf Alarm, ich werde produktiv, haue in die Tasten, habe die besten Ideen, bin fürchterlich inspiriert und denke intensiv darüber nach, dass und wie ich am nächsten Tag mein Leben ändern werde. Donnerstag oder Freitag geht es dann los nach Bremen, Stuttgart, München, Köln oder wo auch immer das Training stattfindet, am Sonntagabend oder am Montag geht es zurück nach Berlin, und ich versuche, einen Tag frei zu nehmen, was dann meisten rumdaddeln heißt. In den letzten zwei Jahren war ich in der Ausbildung zur Grinberg-Praktikerin, das ist eine Methode der Körperarbeit. Da waren meine Tage durch Einzelsitzungen mit Klientinnen und Klienten strukturiert, jeweils einen ganzen Vormittag oder Nachmittag, das hat mir echt gut getan. Doch ich habe vor Kurzem entschieden mit der Ausbildung zu pausieren, also wird sich mein Arbeitsalltag jetzt wohl wieder neu strukturieren.


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Was liebst du an deinem Job? Und gibt es auch etwas, das dich frustriert?
Ich liebe es, Menschen zu berühren. Ich liebe es, dass ich, so wie ich bin, Räume schaffen und begleiten kann, in denen Menschen Neues über sich und die Welt erfahren, in denen sie es wagen, sich zu zeigen und Lust bekommen, sich von in Körper und Geist gespeichertem rassistischen Wissen zu befreien. Ich liebe es, mitbekommen zu dürfen, wie sich Menschen, Gedanken, Ideen, Sichtweisen, Erfahrungen etc. transformieren, wie Menschen „werden“ wenn sie sich dafür öffnen, etwas Neues zu denken, zu erleben und zu fühlen. Was mich in den letzten Jahren eher frustriert hat, ist das Gefühl, meinen Freundinnen und Freunden in Berlin nicht meine Wertschätzung zeigen zu können, weil ich einfach so viel unterwegs bin. Ich habe das Gefühl, nicht wirklich für sie da sein zu können. Da ich überwiegend am Wochenende Trainings habe, verpasse ich die meisten Geburtstage, Ausstellungseröffnungen, Lesungen, Parties und sonstige Aktivitäten. Doch vielleicht irre ich mich. Ich könnte ja mal meine Freundinnen und Freunde fragen, ob sie das auch so erleben. Und das Reisen strengt mich auch an, das soll anders werden. Es geht also eher um die Rahmenbedingungen meines Jobs, inhaltlich und atmosphärisch erlebe ich meine Arbeit als das Gegenteil von Frust.

Hast du Vorbilder?

Alle Menschen, die tiefe Widersprüche in sich tragen und schwere Krisen überleben. Meine Mutter mit ihrer Todessehnsucht und ihrer Lebendigkeit. Mein Vater mit seinen Träumen und seinen Misserfolgen. Menschen, die sich treu bleiben und es dennoch – oder genau deshalb? – wagen, heute „hü“ und morgen „hott“ zu sagen. Einfach weil sie eine neue Entscheidung für sich als richtig erkannt haben. Menschen, die andere Menschen berühren – wie meine ehemaligen Grinberg-Lehrerinnen Nadine Débetaz oder Vered Menasse. Menschen die kämpfen – wie viele Schwarze politische Aktivist_innen und Aktivist_innen of Color – und Menschen, die Liebe schenken und Frieden stiften – wie die kürzlich verstorbene Fotografin Nzitu Mawhaka. Menschen die sagen „I don’t give a fuck“ und etwas erschaffen.

Was machst du am Liebsten, wenn du nicht arbeitest?
Schreiben, lesen und schmusen.

Hast du ein Lieblingsbuch?
Uff, wo anfangen? Gut, ganz pragmatisch beantwortet: vor Kurzem habe ich „Winifred Wagner: oder Hilters Bayreuth“ von Brigitte Hamann zu Ende gelesen. Der 600 Seiten lange Wälzer hat mich ganz schön in seinen Bann gezogen. Ein Detail: die erste Schwarze Sängerin, die auf dem Festspielhügel sang, war 1961 die Sopranistin Grace Bumbry! Sie sang die Venus im Tannhäuser (ich glaub‘, nachher hätte sie gut ein Empowerment-Coaching brauchen können), und das Engagement führte immerhin zu ihrem internationalen Durchbruch. In diesem Jahr liebe ich es, in die Lebens- und Schaffensgeschichten von realen Menschen aus der Vergangenheit einzutauchen. Ich habe den Eindruck, dann die Vergangenheit besser zu verstehen, somit auch die Gegenwart und letzten Endes auch mich. In diesem Jahr waren das unter anderem die Geschichten von Delia Zamudio Palacio, einer Schwarzen Feministin und Gewerkschafterin in Peru, von der fast vergessenen Tänzerin des Berlins der 20er Jahre, Anita Berber, der wichtigsten deutschen Solistin des Modernen Tanzes, Dore Hoyer, oder Albert Speers Sicht der Dinge in seinen „Erinnerungen“. Oh und generell alles von Wolf Haas.

 

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Hast du einen Lieblingsfilm?
Das kann ich gar nicht sagen. Obwohl, „West Side Story“ von 1961 und „A Chorus Line“ von 1985 sind schon ziemlich schick. Doch ich kann dir sagen, welche zwei Filme mich richtig kalt erwischt haben. Also tagelang begleitet haben. Das war einmal „I am Love“ mit der wunderbaren Tilda Swinton (wenn du mich fragen würdest: „Wenn Du für einen Tag wie jemand anderer aussehen könntest, wer wäre das?“, es wäre Tilda Swinton). Ich war zerstört nach dem Film. Und dann „Into the Wild“. Der war auch krass. Generell geht es mir so, dass ich mir sowohl Bücher als auch Filme und Musik nur gefühlsmäßig merke. Also nicht korrekt oder komplett, sondern in Bruchstücken. Abhängig davon, was mich berührt. Und diese beiden Geschichten, die Entscheidungen, die die Protagonistinnen und Protagonisten treffen und die Konsequenzen, die daraus folgen, sind mir wirklich durch Mark und Bein gegangen. In beiden Geschichten entscheiden sich Menschen für die Freiheit – oder das was sich für sie danach anfühlt – und ernten den Tod. Brrrr.

Welche Musik läuft bei dir rauf und runter?
„Rauf und runter“ ist gut gefragt, denn tatsächlich höre ich Musik so. Ich habe erst in den letzten Jahren gelernt, Musik ausgiebig und wirklich bewusst zu hören, also mich tief davon berühren zu lassen. Wenn sie mir gerade gut tut, kann die schon mal stundenlang auf Repeat laufen. Im Moment zum Beispiel läuft seit Stunden die Kora-Musik von Toumani Diabaté, abwechselnd mit einem Mix von Chefket. Lauryn Hills Unplugged-Album schickt mich immer an einen guten Ort. Und der letzte Song „The Conquering Lion“ bläst mich jedes Mal weg: „The conquering lion, Shall break every chain, The conquering lion, Shall break every chain, Give him the victory, Again and again and again and again, Give him the victory, Ohh.“ Ansonsten Edith Piaf oder Letta Mbulu oder Ahmet Aslan oder die geniale Tsegué-Maryam Guébrou oder Lizz Wright oder Fetsum oder Gonzales oder oder oder.

Welches ist die wichtigste Lektion, die du bisher gelernt hast im Leben?
„Stop worrying.“

Was ist das Interessanteste, was dir jemals passiert ist?
Dass das das Erste war, was meine Grinberg-Lehrerin zu mir gesagt hat. Und die Faszination darüber, was echte Aufmerksamkeit in der Lage ist, zu bewirken. Deine Wahrnehmung erweitert sich auf eine Weise, die nahezu magisch ist.

Welches ist dein liebstes Zitat?
Ich hab‘ mal einen Urban Aufkleber entdeckt mit den Worten: „It’s O.K. You can breathe. The change happens by itself.“ Ich liebe es.

Was inspiriert dich?
Menschen und ihre Taten. Der Mond. Mein Körper. Tanz.

Was macht dich glücklich?
Wenn ich mich so sehr berühren lasse, dass mein Herz einen kleinen Sprung macht oder kurz aussetzt und mein Körper von ganz alleine einen besonders tiefen Atemzug nimmt, um die Realität dieses Moments voll aufzunehmen. Zuletzt bekam ich eine lange Mail eines Vaters Schwarzer Kinder, in dem er sich für einen Text von mir bedankt hat. Ja, es macht mich glücklich, wenn ich Menschen inspirieren kann. So wie ich von Menschen inspiriert werde. Das ist ein großes Geschenk.

 

Das Interview führte Melanie Raabe.

Mehr von Pasquale Virginie gibt es hier: http://empowering-diversity.tumblr.com/