Frank, 31, Berlin

„Keine halben Sachen“

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Frank, du wohnst in Berlin, bist in Oberberg aufgewachsen, aber ursprünglich kommst du aus Hermannstadt in Siebenbürgen. Wie alt warst du, als deine Familie umgezogen ist?
Ich war zarte acht Jahre alt.

Ich war sieben, als meine Familie vom platten Land in der Nähe von Jena nach Oberberg gezogen ist. Ich fand’s aufregend – neue Freunde, neue Erlebnisse… Wie war das so für dich?
Ich glaube, ich war extrem schüchtern damals und durch das ständige Hin- und Herziehen, bis wir endlich im Oberbergischen Kreis landeten, hielt sich die Aufregung bei mir in Grenzen. Es hat schon eine Weile gedauert, bis ich Freunde gefunden und mich gegenüber der neuen Heimat geöffnet habe. Ich habe noch ziemlich lange mit „zu Hause“ Siebenbürgen gemeint, wenn ich mich mit meiner Familie unterhalten habe.

Deine siebenbürgischen Wurzeln bedeuten für mich vor allem: das fabelhafte Essen deiner Mom. Und für dich?
Ja, das ist schon ein großer Teil dessen, das hast du richtig erkannt! Ansonsten sind die geschichtlichen Wurzeln für mich als Nebenfachhistoriker natürlich faszinierend. Alles andere ist schwer zu beschreiben. Ich fühle mich jedes Mal wie im siebten Himmel, wenn ich dort bin und auf den Spuren meiner Kindheit wandle. Ich werde dann total sentimental und würde am Liebsten der ganzen Welt zeigen, wie schön es dort ist und was es alles zu entdecken gibt. Vielleicht mache ich das ja auch mal, später…

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Du warst schon in Berlin angekommen, lange bevor „alle“ hingezogen sind. Ist Berlin immer noch die Stadt für dich?
Naja, das denkt, glaube ich, so ziemlich jeder von sich, der schon mindestens sechs Monate hier wohnt. (lacht) Nach über zehn Jahren Berlin bin ich der Stadt immer noch nicht überdrüssig. Mich nerven mittlerweile zwar einige Dinge ziemlich, aber andere möchte ich wiederum auch nicht missen. Die Stadt verändert sich sehr mit den vielen, vor allem jungen Leuten, die herziehen, um sich hier auszutoben und ihre Berlin-Illusion auszuleben beziehungsweise enttäuscht zu werden. Und wenn mir das alles dann irgendwann auf den Sack geht, ziehe ich raus nach Schöneweide und vergentrifiziere ein paar alteingesessene Nazis oder fliehe gleich ins Ausland.

Gibt es noch eine andere Stadt, in der du dir vorstellen
könntest, zu leben?

Schwer zu sagen. Ich mag viele Städte, aber ich könnte selbst von New York nicht sagen, ob ich es dort auf Dauer so lange aushalten könnte, wie in Berlin. Also um es zu versuchen, würde ich vielleicht mit New York anfangen… und wenn das Geld nicht reicht, dann Hamburg.

Was liebst du an Berlin?
Die Geschichte an jeder Straßenecke, die vielen Kieze, gute Currywurst, die Freizügigkeit, das viele Grün, Baulücken, den ÖPNV, all die lieben Menschen, die ich hier kennenlernen durfte.

Und was hasst du an der Stadt?
Die überdurchschnittlich starke Selbstbezogenheit und Ignoranz vieler Leute, das Gefühl, ungefragt Statist in einem großen Vergnügungspark zu sein, das Fehlen eines zukunftsfähigen und durchdachten Stadtentwicklungskonzeptes – ganz ehrlich! 

Lass uns über Kunst reden. Hast du momentan einen Lieblingskünstler – aus welcher Sparte auch immer?
Da muss ich wirklich nachdenken. Also aus dem zeitgenössischen Bereich: Neo Rauch und Norbert Bisky. Letztes Jahr habe ich nach einem Museumsbesuch in Chemnitz Otto Dix für mich entdeckt. Was Kunst und Kultur grundsätzlich angeht, interessiere ich mich besonders für Fotografie, die Klassische Moderne und Mariah Carey. (lacht)

Welcher Künstler hätte deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient?
Der Musiker Le1f, die Fotografen Herbert Tobias und Frieda Riess – und Iwan Rheon. Diese Augen!

Ob Foto, Performance, Skulptur, Bild, Song oder wasauchimmer – welches Kunstwerk hat dich in letzter Zeit am meisten beeindruckt?
Während der Recherche für meine Magisterarbeit bin ich wieder über den chinesischen Künstler Xu Bing gestolpert. Sein „A Book From the Sky“ von 1988 hat mich sehr fasziniert. Er hat unzählige Schriftrollen und Buchseiten mit tausenden erfundenen Schriftzeichen bedruckt, die zwar chinesischen Zeichen ähneln, aber keine echten sind. Die vielen Druckstempel mit den fiktiven Zeichen hat er in jahrelanger Arbeit selbst geschnitzt. Das Spiel mit Sprache und Schrift ist sehr charakteristisch für ihn und hat mich sehr fasziniert. Als ich mit meinem Studium anfing, wurde
„A Book From the Sky“ gerade in Berlin ausgestellt, und ich möchte mich immer noch dafür in den Arsch beißen, dass ich nicht hingegangen bin.

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Du hast während deines Sinologie-Studiums ein Jahr in China verbracht – hauptsächlich in Shanghai. Wie würdest du diese Erfahrung zusammenfassen?
Insgesamt als sehr erkenntnisreich und wertvoll. Ich würde zwar nicht gleich mit dem Wort „Kulturschock“ um mich werfen, denn das klingt irgendwie abwertend, aber die Andersartigkeit der Alltagskultur und die andere Perspektive auf die Welt fand ich echt aufregend – im Guten, wie im Schlechten. Vieles was andere „Westler“ um mich herum damals einfach nur „nervig“ oder „komisch“ fanden, hat mich meist neugierig gemacht. Ich habe die Andersartigkeit nie bewertet, sondern einfach als Realität angenommen, und das hilft beim Verständnis einer neuen Umgebung. Eine Erfahrung, die ich niemals missen möchte.

Hast du noch Kontakte nach China?
Ja, ich habe noch einige Freunde und Bekannte dort, die ich nach meinem Abschluss wieder besuchen möchte. Einige haben mich in Berlin besucht und je mehr ich von den Veränderungen in Shanghai, Peking und Co. höre, desto größer wird mein Fernweh.

Genau wie ich bist du auch ein ziemlicher Serienjunkie. Hast du das Ende von 30 Rock schon verkraftet?
Hach, das war schon schwer, das muss ich zugeben. Es war ’ne großartige Serie, die aber zum Glück rechtzeitig aufgehört hat. Tina Fey wird uns sicherlich noch mit schönen Sachen beglücken.

Was sind momentan deine Lieblingsserien?
Ähm, hier meine obligatorische Liste: Parks and Recreation, House of Cards, The Good Wife, Up all Night, Game of Thrones, VEEP, The Big C, Modern Family. Und mein All-Time-Coming-Out-Nostalgie-Favourite Will & Grace, was ich mir ein Mal im Jahr von Anfang bis Ende anschaue.

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Gibt es ein Projekt – egal ob ein eigenes oder das von anderen – das du gerne promoten würdest? Hier ist die Gelegenheit!
Das Aufklärungsprojekt „queer@school“ des Jugendnetzwerks Lambda Berlin-Brandburg e.V. (http://queer-at-school.de/). Die gehen in Berliner Schulen und setzen sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Akzeptanz sexueller Vielfalt und gegen Homophobie und Transphobie an Schulen ein.

Eine letzte Frage: Hast du ein Lebensmotto oder eine Lebensphilosophie?
Keine halben Sachen!

Das Interview führte Melanie Raabe. Don’t be shy! Meet me at http://www.facebook.com/mademoiselleraabe. Ganze Biographien von mir gibt’s auf http://www.geschenkbuch-deluxe.de.

Alle Fotos: privat

4 Kommentare

  1. Jörn

    Prima Interview. Ich habe das Thema Berliner Stadtentwicklungskonzept nicht auf dem Schirm. Was stört Dich denn da, lieber Frank?

  2. Fronque

    Grundsätzlich stört mich die Visions- und Konzeptlosigkeit der letzten Berliner Landesregierungen. Es wir seit vielen Jahren immer nur auf akute Probleme reagiert, aber nie langfristig irgend etwas angepackt oder vorausschauend geplant. Das sieht man vor allem beim Thema bezahlbarer Wohnraum, bei der Verkehrsplanung oder schlicht und einfach an der allgemeinen Unwissenheit über die eigene Stadt im Bezug auf Kieze, Projekte und Initiativen.

    Zuerst wird exzessiv Werbung für das „kreative“, „alternative“ und „innovative“ Berlin gemacht um dann alles an irgendwelche Investoren zu verscherbeln, die dann genau das platt machen und ein weiteres Bürogebäude oder Hotel hinstellen, das keiner braucht. Dass man mit nachhaltigen Konzepten am Ende sogar mehr (finanziell wie ideell) für sie Stadt rausholen könnte, interessiert leider wenige, denn die Kasse muss immer sofort klingeln. Es fehlt ein ehrliches Interesse am Dialog mit den Bürgern und ein offenes Ohr für Kompetenz.

    Hach, da hast du was angestellt… 🙂

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